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Wenn Schüler ihre Schule lieben

Das Erich-Fried-Gymnasium in Friedrichshain ist eine von 33 Schulen, die in Berlin geschlossen werden sollen. Doch Totgesagte leben bekanntlich länger: 575 Schüler sind samt Lehrer entschlossen, ihre Schule auch mit ungewöhnlichen Methoden zu retten

von INGRID GEGNER

Am Dienstag hat der 15-jährige Julian die ersten zwei Stunden frei: Ein Traum für jeden Teenager. Doch anstatt auszuschlafen, steht der Neuntklässler um 8 Uhr auf der Matte und renoviert mit sieben anderen Schülern die Toiletten seines Gymnasiums.

Auf dem Erich-Fried-Gymnasium (EFG) ist Engagement angesagt und ganz normal. Neben Julian, der seine Hosen kurz über in den Kniekehlen trägt wie andere Pubertierende auch, arbeiten noch andere Schüler an der Verschönerung der Penne. Außer den Renovierungsarbeiten sind von Schülerhand der Computerraum und ein Biologie-Labor eingerichtet worden. Ein Literaturclub, Kurzfilmnächte und Diskussionsrunden mit Politikern werden selbst organisiert. Die Direktorin Heidi Antal begleitet wohlwollend die Aktivitäten. „Macht ihr das ruhig, und ich bin eure Sekretärin“, hört man sie dann sagen.

Jetzt plant die engagierte Schülerschaft ihre vielleicht wichtigste Aktion: Sie wollen ihr Gymnasium vor dem Aus retten. Denn das EFG ist eine von 33 Schulen Berlins, die wegen Schülerschwund bis 2004 geschlossen werden sollen. In Friedrichshain landete das EFG ganz oben auf der Liste, weil das Gebäude marode ist, die Chemieräume aus DDR-Zeiten stammen und man mit nur 62 Anmeldungen im letzten Jahr am Ende rangiert.

„Als wir zu Beginn des letzten Schuljahres erfahren haben, dass wir ab 2000 keine Schüler mehr aufnehmen sollen, war sofort klar: Wir müssen was tun“, sagt Jule Grienitz aus der 13. Klasse. Hoffnung brachte ein Zugeständnis des Bezirksstadtrats Dieter Hildebrandt (PDS): „Bringen Sie mir mehr Schüler.“

Gesagt, getan: Der zunächst geplante Hungerstreik wurde schnell wieder verworfen. Stattdessen griffen die Schüler zu moderateren Mitteln und organisierten eine „Erich-Kästner-Nacht“. Kinder durften in der Schule übernachten, um im Internet über Kästner zu recherchieren. Filme wurden gezeigt, aus Büchern wurde vorgelesen. Eine „Nacht der Sinne“ folgte mit ähnlichem Programm.

Prompt gab es in diesem Jahr 128 Anmeldungen. An den anderen beiden Friedrichshainer Gymnasien waren es nur 53 und 98. Sogar Schüler aus anderen Bezirken wollten aufgenommen werden. Die Erklärung der Direktorin: „Nachdem die Eltern von unserem Profil erfahren haben, waren sie von uns überzeugt.“

Und da der Bezirk Friedrichshain noch immer nicht auf die Veränderung reagiert hat, planen die Schüler für morgen eine ausgewachsene Demonstration. „Ich rechne mit 500 Teilnehmern“, prognostiziert Jule selbstbewusst. Um 16 Uhr treffen sie sich am Alexanderplatz. Von dort aus wird der Zug mit Schülern und Eltern des EFG zum Schlossplatz ziehen. Dort wollen sie in der öffentlichen Waschküche die „schmutzige Wäsche“ der Schulpolitik waschen. „Man stopft einerseits unsere Klassen voll und will andererseits Schulen schließen“, ereifert sich Jule. Die Politiker sollten nach Meinung der 19-Jährigen mal in die Zukunft, nämlich die Bildung investieren.

Das pädagogische Konzept des Gymnasiums scheint aufzugehen: „Durch gegenseitiges Vertrauen schaffen wir ein Klima, das Schüler zu Selbständigkeit und Aktivität beinahe drängt“, sagt Antal. Ein Zeichen dafür sei, dass das EFG auf einen Schulgong verzichten kann. „Den haben wir im letzten Jahr abgeschafft und trotzdem beginnt der Unterricht immer pünktlich.“

Außer Selbstverantwortung lernen ihre Schüler Russisch und seit zwei Jahren auch Deutsch als Fremdsprache. Über 10 Prozent ihrer Schüler seien nichtdeutscher Herkunft. „Wir wollten begabten Schülern, die wegen Sprachbarrieren an die Hauptschule müssten, ein Abitur ermöglichen“, sagt Antal.

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