: Michelles manikürter Zeh
Vom markanten Mund zur Daisy-Duck-Lippe: Robert Zemeckis Horrorfilm „Schatten der Wahrheit“ berichtet von Seitensprüngen auf und Eingriffen jenseits der Kinoleinwand
Wiederbegegnung mit Käthe Kruse bzw. der Puppe mit dem Porzellangesicht und den roten Bäckchen, die immer im Regal zu sitzen hatte, weil sie sich in ihrer niedlichen Schönheit nur als Ausstellungsstück eignete. Irgendwie ließen sich diese Püppchen nicht mit Geschichten füllen, in ihrer stereotypen Perfektion hatten sie etwas derart Lebloses, dass man sie gar nicht erst anfassen wollte.
Schatten der Wahrheit bzw. meiner Kindheit – auch Michelle Pfeiffer möchte man in ihrem neuesten Film einfach im hintersten Winkel des Bildes abstellen, so seltsam erstarrt ist ihr Gesicht. Nicht etwa wegen der Horrorstory und Geistererscheinungen in der Luxusvilla, der ewig gleiche Ausdruck lässt eher auf Eingriffe jenseits der Leinwand schließen. Bei den Filmfestspielen in Venedig gab sie denn auch zu, dass man als über Vierzigjährige schon ein wenig nachhelfen müsse, um in Hollywood mithalten zu können. Aber muss das gleich auf Kosten der eigenen Markanz gehen? Der etwas schräge Pfeiffer’sche Mund, dessen Oberlippe in „Gefährliche Liebschaften“ so rührend aufgeregt bebte, erinnert mittlerweile eher an aufgeblasene Daisy-Duck-Lippen: makel-, aber seelenlos.
In „Die fabelhaften Bakerboys“ forderte ihre Rückenlandschaft im hinten tief ausgeschnittenen roten Kleid Jeff Bridges noch unverblümt zur Massage auf, in „Schatten der Wahrheit“ braucht der signalfarbene Verführerinnendress jetzt nicht einmal mehr Formen zu verhüllen, fiel wohl alles einer Abmagerungskur zum Opfer.
Da muss man eben zu anderen Mitteln greifen. Also bietet die starre Michelle ihrem Filmehemann Harrison Ford einen Apfel als Appetizer an, worauf er mit einem mehr als dämlichen Ochs-vorm-Berg-Blick reagiert. Liefern sich da etwa zwei Superstars ein Duell in teilnahmslosem Minimalismus? Sie operationsbedingt, er, weil er schlichtweg gegen sein Image besetzt wurde? Denn der ansonsten moralisch so adrette Harrison begibt sich für Zemeckis auf Abwege und spielt einen Seitensprüngler, der sogar vor Mord und Totschlag nicht zurückschreckt – was allein schon als Story wie an den Haaren herbeigezogen wirkt. Selbst der Trashfaktor kommt hier nicht zum Zuge, und wenn Ford versucht, gemeingefährlich dreinzuschauen, vergeht einem angesichts seiner hilflosen Ausdruckslosigkeit sogar die Freude an der Peinlichkeit. Der Kerl funktioniert einfach nur mit Peitsche.
Spätestens seit „Fatal Attraction“ hatte man die verhängnisvollen Folgen eines Seitensprungs als erzreaktionär ad acta gelegt. In „Schatten der Wahrheit“ meldet sich in gewisser Weise der Geist von Glenn Close zurück, ausgerechnet auch noch im Badezimmer. The same old story von dekorativem Blut auf weißen Kacheln, Schrift auf Spiegeln, Fön im Wasser, dampfendem Dunst etc.
Nur eine Neuheit hat das laute und krude Machwerk zu bieten, einen Selbstrettungsversuch, bei dem wirklich so etwas wie Freude aufkommt – und Respekt vor Michelle Pfeiffers fein manikürtem großem Zeh, der tatsächlich einen wackeren Kampf liefert.
ANKE LEWEKE
„Schatten der Wahrheit“. Regie: Robert Zemeckis. Mit Harrison Ford, Michelle Pfeiffer u. a. USA 2000, 130 Min.
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