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Supercool, superloyal und tragisch

Glänzende Limousinen, fusselfreie Anzüge und extrem gut aussehende Helden im möglicherweise elegantesten Unterhaltungskino der Welt. „Running out of time“ von Johnnie To erzählt in blaustichigen Großstadtbildern von Jägern und Gejagten – zwischen Kung-Fu-Choreografie und Melancholie

von DETLEF KUHLBRODT

Seit Mitte der 80er-Jahre sind die Filme von Tsui Hark und anderen Hongkong-Regisseuren auch hierzulande Inbegriff einer schönen Mischung aus Actionkino mit immer erstaunlicheren Special Effects und einer melancholischen Eleganz, die nicht nur die Special-Interest-Groups begeisterte. Während sich hierzulande allerdings vielleicht nur um die tausend Filmfreunde am wunderschön choreografierten und gern auch ein wenig sentimentalen Hongkong-Kino begeisterten, waren es in ihrer Heimat Millionen. Immer wenn man das Gefühl hatte, das Kino aus Hongkong zeige Ermüdungserscheinungen, die immer aufwendigeren Special Effects würden zum Selbstzweck, kamen ganz neue, unerwartete, großartig moderne Filme, die einen – nun ja – glücklich machten.

Mitte der 90er-Jahre lieferte Wong-Kar Wai („Fallen Angels“) die Bilder und vor allem den Jumpcut zum Wachtraumrausch der späten Berliner Technobegeisterung und verband Elemente des eher Hongkong-untypischen Autorenfilms mit großartig choreografierten Schusswechseln. Wong-Kar Wais Helden durften sich nie zu Hause fühlen, sie trafen so zufällig aufeinander, wie sie einander wieder verloren. Kino als aufregendes Lebensgefühl und moderne Großstadtmelancholie in verwischten Blau-, Rot- und Gelbtönen. Eine Zeit lang hatten viele das Gefühl so Wong-Kar-Wai-mäßig drauf zu sein und wussten, was sie damit meinten.

Der 45-jährige Johnnie To, der wie viele Regisseure aus Hongkong vom Fernsehen kam und vor zwanzig Jahren seinen ersten Film machte, könnte ähnlich erfolgreich werden wie Wong-Kar Wai. Bei den diesjährigen Berliner Filmfestspielen war er mit drei, allesamt 1999 gedrehten, großartigen Gangsterfilmen vertreten, nach deren Auführung man sich sicher war, das eleganteste und modernste Unterhaltungskino der Welt gesehen zu haben. Ein Gangsterkino, das sich in seinen Schießereien an der avancierteren Kung-Fu-Choreografie orientiert und zuweilen auch an Kurosawa erinnert, ein Regisseur, der wie seine japanischen Kollegen in der Jugend vor allem amerikanische Actionfilme geguckt hatte, „seitenverkehrt, weil ich hinter der Leinwand saß“, ein Kino, in dem man die glänzenden teuren Mercedesse oder BMWs so toll findet wie die stets fusselfreien Anzüge der Helden oder ihre entschlossenen Gesichter. Der schönste dieser drei Filme – „Running out of time“ – kommt nun in die deutschen Kinos.

Es geht um das seltsame Duell zweier extrem gut aussehender Helden. Der eine, Wah (Andy Lau), die Figur des guten Gangsters, hat nur noch ein paar Wochen zu leben. Er holt sich starke Schmerztabletten, um in einem ziemlich komplizierten Coup seinen Vater zu rächen und sowohl die Polizei als auch seine verbrecherischen Gegenspieler immer wieder zu narren. Er funktionalisiert seinen Gegenspieler, den äußerst cool-melancholisch wirkenden Inspektor Sang, der ihn mehrere Male fast erwischt. Alle paar Minuten gibt es neue überraschende Wendungen, viel Tragik, Suspense und berückend schöne, blaustichige Großstadtbilder. Jäger und Gangster mögen sich, sind aber superloyal und müssen ihre Loyalitätskonflikte auf sehr komplizierte Weise verhandeln. Ab und an streifen kleine Scherze das vermutete Liebesleben der Helden oder das Verhältnis zwischen Hongkong und England zur Teatime.

Das unwahrscheinlich moralische Ende des Films ist, um nicht zu viel zu verraten, sagen wir mal: von beeindruckender Generosität und Tragik. „Das Reale ist das Alltagsleben, aber wir sollten das Irreale stärker beachten“, sagt der 44-jährige Regisseur und dass es in Zeiten der Rezession darum ginge, „aus der kalten Welt zurückzukehren und uns die Aufgabe zu stellen, das Publikum glücklich zu machen“. Es ist ihm gelungen. Johnnie To Kei-Fung ist der Regisseur des möglicherweise elegantesten Kinos der Welt.

„Running out of time“. Regie: Johnnie To. Mit Andy Lau, Lau Ching Wan, Yo Yo Mung, Lee Chi Hung u.a. Hongkong/China 1999, 92 Min.

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