: Von Gespenstern in Haft gehalten?
■ Abschiebehäftling sieht Geister und Männchen an der Wand. Erst nachdem Mithäftlinge Alarm schlugen und ein Polizist Beschwerde stellte, soll der Facharzt kommen
Elf Tage schon liegt Antonio M. apathisch auf seiner Matte in der fensterlosen Ausnüchterungszelle im Polizeigewahrsam. Einzelhaft auf eigenen Wunsch. „Er sieht lärmende Männchen an seiner Zimmerdecke und denkt, Geister hätten ihn verhaftet“, berichtet Ghislaine Valter von der Asylgruppe „grenzenlos“. Der Mann habe es bei den anderen Gefangenen nicht ausgehalten. Valter war von besorgten Mithäftlingen privat alarmiert worden. Zuvor hatte der 33-Jährige einerseits randaliert, andererseits soll er nach Medikamentengaben durch einen Arzt des Beweissicherungsdienstes apathisch gewesen sein. Ein Facharzt des Sozialpsychiatrischen Dienstes (SPsD) kam bislang offenbar nicht, obwohl sich Polizeibeamte darum bemühten.
Bewegung kam offensichtlich erst in die Sache, nachdem der zuständige Dienstgruppenleiter in Abschiebehaft zu Wochenbeginn eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Verantwortliche des SPsD auf den Weg brachte. Von dort hat sich jetzt Besuch für den zweiten Oktober angekündigt.
Der Beschwerde führende Polizist will sich zu den Vorfällen gegenüber der taz nicht äußern. Aus seiner Dienstaufsichtsbeschwerde, die der taz vorliegt, geht jedoch hervor, aus welcher Situation heraus er beim SPsD Hilfe suchte: Der für gewalttätige Ausfälle bekannte Kranke hatte randaliert. Aufgrund der Aktenlage – bereits Anfang August war Antonio M. vom SPsD untersucht worden – fürchtete der Polizist, dass bei Antonio M. „eine psychische Erkrankung mit Fremdgefährdung“ vorliegen könnte. Er alarmierte den SPsD und nach vier Tagen Warten das Ausländeramt, von wo man erneut den SPsD einzuschalten versuchte. Offenbar erfolglos. Denn nachdem der verantwortliche Polizist nur eine telefonische Ferndiagnose erhielt, wonach „eine Begutachtung des Herrn M. nicht erforderlich“ sei – oder er möge einen Psychologen der Polizei hinzuziehen – entschied dieser sich offenbar zur Beschwerde.
Die Asylgruppe handelte schneller. Sie rief einen Facharzt für Psychiatrie, der dem Abschiebehäftling bereits vor neun Tagen „eine akute paranoide Psychose mit Wahngedanken bescheinigte“ – Selbstgefährdung nicht ausgeschlossen. In der ärztlichen Stellungnahme hieß es außerdem: . „Eine stationäre Behandlung ist dringend indiziert.“
Das meint auch der Anwalt von Antonio M., Hans-Meyer-Mews. Er lehnt eine weitere Begutachtung seines Mandanten – dessen Haftzeit Anfang September um zwei weitere Monate verlängert wurde, ab. „Es besteht dringender Handlungsbedarf“, schreibt er an die Ausländerbehörde. Der Kranke gehöre in die Psychiatrie. Eine gemeinsame Begutachtung durch den Arzt des Beweissicherungsdienstes und den SPsD lehne er ab. Der Arzt vom Beweissicherungsdienst sei kein Facharzt. Außerdem müsse er ja – falls er sich der Diagnose des durch die Asylgruppe hinzugezogenen Psychiaters anschließen wolle – schwere Fehler einräumen. „Denn wenn sich der gegenwärtige Kenntnisstand bestätigen sollte, dann hätte er einen schwer erkrankten Patienten nicht an einen Facharzt überwiesen und ihn mit hohen Dosen Diazepam (Volksmund: Valium) ruhig gestellt“. Tatsächlich haben Mithäftlinge, der Psychiater und eine Pfarrerin berichtet, dass Antonio M. nach Medikamentengabe nur noch lallte und sich nicht mehr alleine auf den Füßen halten konnte.
Die Asylgruppe hat sich unterdessen an den Polizeipräsidenten gewendet. In ihrem Schreiben berichtet sie, dass sich die Beschwerden der Abschiebehäftlinge über schlechte medizinische Versorgung in letzter Zeit häuften. „Nach Einnahme von Tabletten – leiden die Abschiebehäftlinge unter Schwindel, Benommenheit, Alpträumen und fallen nach kurzer Zeit in Tiefschlaf von teilweise bis zu 24 Stunden.“ ede
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