Der Brocken und die Zockerin

Im zweiteiligen Doku-Drama „Deutschlandspiel“ (arte, 20.45 + 22.15, ZDF, 2./3. 10. 20.15) wird die deutsche Einheit in einer Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm spannend aufgearbeitet. Klassisches Erzählkino mit vielen alten Männern

von CHRISTIAN BUSS

Die eiserne Lady spricht aus, was die anderen nur denken: „Kohl überrollt uns wie ein Panzer. Die Deutschen ändern sich nie!“, zischt Maggie Thatcher hinter geschlossenen Türen ihrem Berater zu. Und Nicole Heesters, die Englands einstige Regierungschefin spielt, verzieht dabei unter ihrer stählernen Dauerwelle die Lippen wie eine Puppe aus der britischen Satire-Show „Spitting Image“.

Dass Thatcher offen und mit aller Macht die deutsche Wiedervereinigung bekämpfte, konnte den Gang der Geschichte allerdings kaum aufhalten. Und nicht etwa deshalb, weil ihre Ansichten dem Zeitgeist oder Bündnisstrategien widersprachen. Nein, glaubt man dem Doku-Drama „Deutschlandspiel“, war die Premierministerin einfach keine gute Zockerin – im Poker um die Zukunft von BRD und DDR hatten nämlich jene Politiker die besten Karten, die den Kontrahenten über die eigenen Interessen im Unklaren ließen.

So funktionieren die drei Stunden aus Dokumentaraufnahmen und Spielszenen über weite Strecken wie ein Zockerfilm. Hinter verschlossenen Türen hocken alte Männer an runden Tischen, schwitzen mächtig und werfen sich ab und an bedeutungsschwere Blicke zu. Der Zuschauer, um im Bild zu bleiben, darf ihnen in die Karten gucken und lernt so allerlei über die Schiebereien der großen Politik. Gleich am Anfang von „Deutschlandspiel“, als es bei den offiziellen Feierlichkeiten zum 40. Geburtstag der DDR in Ostberlin zu ersten Demonstrationen und zum Eklat mit dem Ehrengast Gorbatschow kommt, raunt ein besorgter Genosse dem anderen zu: „Red doch mal mit Falin, der hört doch immer das Gras wachsen.“ Solche Sätze, mit denen Politikergespräche lustvoll ins Mafia-Idiom übersetzt werden, gibt es in dem Wiedervereinigungskrimi reichlich. Später, als zwei hochrangige sowjetische Militärs beim Angeln über die angespannte Lage der Roten Armee debattieren, wird gar metaphernselig über die Befindlichkeit der Hechte sinniert.

Hört man über solch fischiges Pathos hinweg, vermittelt der Zweiteiler eine stimmige Version der Vorgänge, die zur deutschen Einheit führten. All die Zufälle und Taschenspielertricks, die angeblich die Wende einleiteten, werden bestechend in Szene gesetzt. So gelingt es dem auf De-eskalation setzenden Generaloberst der Nationalen Volksarmee in „Deutschlandspiel“ mit einer Volte, Honecker davon zu überzeugen, bei den immer massiveren Protesten in Leipzig keine Panzer einsetzen zu lassen: Der Militär weist den greisen Generalsekretär darauf hin, dass alle Jugendlichen der DDR in der Panzerabwehr ausgebildet worden seien. „Sie brauchen also nur ein Taschentuch vor den Sehschlitz zu halten, um das Fahrzeug außer Kraft zu setzen!“ All die prekären Details werden in Interviewpassagen durch Zeitzeugen abgesegnet: Regisseur Hans-Christoph Blumenberg („Der Madonna-Mann“) lässt eine wahre Parade von Falken, Wölfen und anderen angegrauten Raubtieren aus dem nicht mehr ganz so Kalten Krieges antreten: Von Gorbatschow über Bush bis Kohl sind fast alle vertreten, und auch die Strippenzieher im Hintergrund, also Leute wie Thatcher-Berater Charles Powell, kommen ausführlich zu Wort. Wobei die Aussagen prinzipiell nie in Zweifel gezogen, sondern zum kompakten Thriller verdichtet werden. Und die bedrohlich schwelende Musik des scheußlichen Soundtracks, die noch während der ruhigsten Sequenzen orgelt, sorgt für weitere Dramatisierung.

Das Zeitgeschichtsdrama funktioniert also ganz nach den Regeln des klassischen Erzählkinos – Widersprüche oder Wissenslücken existieren hier nicht. Da arbeitet Hollywood-Apologet Blumenberg wie sein Vorbild Oliver Stone, der mit seinem Politschocker „Nixon“ die komplizierten kriminellen Verstrickungen des US-Präsidenten als Krankenakte eines Psychopathen aufrollte.

Diese psychohistorische Sichtweise verengt allerdings den Blick. Abstraktere Komponenten wie wirtschaftliche Zusammenhänge kommen in „Deutschlandspiel“ nur am Rande vor; politische Prozesse werden gänzlich über die Typisierung der involvierten Figuren geklärt. Helmut Kohl zum Beispiel, von Lambert Hamel immerhin ohne jede parodistische Übertreibung gespielt, tritt als robuster und lustvoller Instinktmensch auf, der auf jede Situation zu reagieren weiß – und der auf seinen Ost-Reisen auch mal spontan anhält, um eine aufgeregte Imbissbesitzerin um eine Tasse Kaffee zu bitten. François Mitterrand schneidet da schlechter ab: Jean-Francois Balmer gibt ihn als nervöses Männlein, dem beim Gedanken an ein wiedervereinigtes Deutschland panisch die Augenlider flackern. Klar, mit so einem hat der Brocken Kohl leichtes Spiel.

Initiiert und beaufsichtigt wurde das prestigeträchtige Projekt übrigens von Guido Knopp, dem Ressortleiter „Zeitgeschehen“ beim ZDF. Durch Reißer wie „Top-Spione“ hat der Bundesverdienstkreuzträger eine Form von Historien-Entertainment nach amerikanischem Vorbild etabliert, mit dem „Deutschlandspiel“ perfekt harmoniert.

Diese Art der Geschichtsverdichtung mag man kritisieren, in einem Punkt aber kann man Knopp nur belobigen: Die Szenen, in denen Blumenberg Ausschnitte aus Sendungen der ARD in die Handlung eingebaut hat, wurden von ihm nicht beanstandet. Dabei dürfte es den Mann vom Zweiten schon betrübt haben, dass keiner der Ossis im Film das „Heute-Journal“ guckt, aber alle ganz versessen auf die „Tagesthemen“ sind.