Mutter, Mutter, Kind

Eine Tagung in Berlin widmet sich den so genannten Regenbogenfamilien, bei denen Eltern alles sind, nur nicht heterosexuell. Der 13-jährige Wolfgang wächst mit zwei Müttern auf. Für ihn ist das längst normal. Für den Gesetzgeber noch lange nicht

von HOLGER WICHT

Der Auftakt war Maßarbeit: „Wir wurden von einer gemeinsamen Freundin klassisch verkuppelt“, berichtet Anja Lehmann (30) vom Beginn ihrer Beziehung mit Jana Tzschorn (36). Vor drei Jahren lebte Jana noch in Leipzig, wollte aber zurück in ihre Geburtsstadt Berlin. Zu Weihnachten bekam sie Anjas Telefonnummer geschenkt: „Ruf die doch mal an!“, sagte die Freundin. „Die war selber stockhetero und verheiratet“, erinnert sich Jana belustigt, „wir waren die einzigen Lesben, die sie kannte – sie hat einfach eins und eins zusammengezählt.“

Ergebnis: drei. Janas Sohn Wolfgang war schon beim Blind Date dabei, Erkennungszeichen: ein zehnjähriges Kind mit ziemlich großen Füßen. Zwei Wochen und einige Briefe später waren die Frauen ein Paar, nach drei Monaten bezog das Trio eine Berliner Altbauwohnung.

„115,68 Quadratmeter, glaube ich“, erklärt Wolfgang stolz. Der heute 13-Jährige lümmelt zwischen Anja und Jana auf dem Sofa und kuschelt mal links, mal rechts. Die Wände sind übersät mit kleinen Zeichnungen und Wandteppichen, Wolfgangs Handabdrücke farbig auf Papier. Viel Holz, viele Bücher, viele bunte Kissen – die drei haben es sich gemütlich gemacht.

Jana arbeitet als Krankenschwester für einen ambulanten Pflegedienst, Anja befindet sich in der Ausbildung zur Religionslehrerin und betreut außerdem Behindertengruppen. Haus- und Erziehungsarbeit teilen sich die beiden nach Zeit und Geschmack: Wer zuerst nach Hause kommt, kocht. Anja hilft Wolfgang bei den Hausaufgaben, und gelegentlich gehen die beiden zusammen ins Stadion zu Hertha BSC. „Dann hab ich meine Ruhe“, sagt Jana und verdreht grinsend die Augen.

Anja hat die Mutterrolle gewollt, gesucht, gefunden. „Ich war sechs Jahre lang Single und hatte Lust auf eine neue Freundin und mit einem Kind zusammenzuleben.“ Ganz reibungslos lief die Familiengründung natürlich nicht ab: Wolfgang zeigte sich zunächst ein wenig eifersüchtig. „Wir konnten zum Beispiel nicht einfach Arm in Arm gehen“, sagt Anja, „da musste er dann dazwischen, so nach dem Motto: Das ist meine Mama ...! Aber das geht Männern auch so, wenn sie dazukommen.“

Für Wolfgang war es kein Problem, plötzlich zwei Mütter zu haben. „Ich hab's ja schon einmal hinter mir“, bemerkt er trocken. „Pssst!“, macht Jana lachend. Dann erzählt sie die Geschichte selbst: Wolfgang war ein „Zufallstreffer“, sein Vater ein guter Freund. „Wir haben uns nur einmal scharf angeguckt, da war's schon passiert.“ Zunächst kümmerte sich der Erzeuger gelegentlich um seinen Sohn. Doch dann kam Janas Coming-out, schließlich zog sie mit ihrer damaligen Freundin zusammen. „Da fühlte er sich in seiner männlichen Ehre gekränkt“, diagnostiziert Jana. Seitdem ist der Kontakt unterbrochen. Ist das okay für Wolfgang? „Ja“, sagt er ohne zu zögern. „Inzwischen ja“, fügen die Mütter hinzu wie aus einem Munde.

Als Wolfgang zu Beginn des Schuljahres aufs Gymnasium kam, stellten Anja und Jana sich der Direktorin und der Klassenlehrerin gemeinsam vor. Die zeigten sich liberal: Anja wird als zweite Mutter akzeptiert, darf Klassenarbeiten abzeichnen und an Elternabenden teilnehmen. Ein gesetzliches Recht darauf hat sie freilich nicht. Die so genannte Ko-Elternschaft bei unverheirateten Paaren hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen.

Freud und Leid des Familienlebens können Jana und Anja bei Treffen in der Berliner „Schwulenberatung“ mit anderen homosexuellen Eltern teilen. Nicht alle haben so wenig Probleme wie die beiden. Die meisten haben vor dem schwulen oder lesbischen Coming-out in einer Ehe gelebt, manche liegen im Clinch mit dem Expartner. Einige haben Angst, dass das Jugendamt ihnen das Sorgerecht entziehen könnte. In der Regel eine grundlose Befürchtung, denn Homosexualität gilt vor Familiengerichten längst nicht mehr als Gefährdung des Kindeswohls. Zahlreiche Studien belegen, dass sich der Nachwuchs bei Homopaaren nicht schlechter entwickelt als in der klassischen Vater-Mutter-Kind-Konstellation. Im Alltag haben schwule und lesbische Eltern freilich noch häufig mit Vorbehalten zu kämpfen. Wenn sie sich als Lesbe zu erkennen gebe, berichtet Jana, laute die erste Frage meistens: „Wie reagiert denn dein Kind darauf?“ Und noch in Leipzig stichelte eine Lehrerin: „Seit Sie mit einer Frau zusammen leben, ist Ihr Kind unmöglich.“

„Love makes a family!“ lautet ein Schlachtruf der US-amerikanischen Schwulen- und Lesbenbewegung. So heißt nun auch eine „Bundesarbeitsgemeinschaft“, die aus dem Elterntreff hervorgegangen ist und das Dach für ein bundesweites Netzwerk bilden soll. Darüber hinaus ist die Gruppe zu einem Freundeskreis geworden. Für die Christopher-Street-Day-Parade rüsteten sie einen gemieteten Lkw zu einem gigantischen Kinderwagen um. Auf dem letzten „Lesbisch-schwulen Stadtfest“ bastelten die Kids Buttons – in den Regenbogenfarben, dem Symbol der Homobewegung.

Immer mehr Schwule und Lesben entdecken die Lust am Leben mit Kindern und gründen auch nach dem Coming-out selbstbewusst Familien, indem sie Pflegekinder aufnehmen oder Wege zur Schwangerschaft suchen und finden – etwa mit Hilfe der Berliner Agentur „Queer and Kids“, die zeugungswillige Schwule und Lesben einander vermittelt. „Ich find's immer toll“, kommentiert Jana, „wenn auf dem Stadtfest eine schwangere Frau mit ihrer Freundin vorbeikommt und sagt: ‚Bei uns ist es bald so weit.‘ “