piwik no script img

Die falsch gebarrte Sportnation

Die deutschen Olympioniken strahlen graue Tristesse aus und holen bloß in der Disziplin Ausreden beständig Gold. Dabei dopen sie einfach nur verkehrt oder sogar gar nicht

Ich muss gestehen: Wir Pferde finden die hemmungslose nationale Raserei, vor allem im deutschen Fernsehen, so richtig zum Wiehern. Alles wird „aus deutscher Sicht“ anmoderiert und dann blindlings „durch die deutsche Brille“ gesehen und kommentiert. Das ist niedlich und raffiniert: Denn es reduziert den Blickwinkel auf Ja oder Nein, Jubel oder Frust, ohne näher zu hinterfragen, warum es mal wieder nicht geklappt hat mit dem Gold fürs deutsche Volk. Vorgestern brüllte der ARD-Reporter sogar meinen Sprung-Kollegen, den Wallach Esprit unter Lars Nieberg, über die Hindernisse mit einem wunderschönen „Jaaaa, und er springt für Deutschland!“. Na ja, wenigstens wir deutschen Pferde räumen reichlich Gold ab – erst wir Dressurkünstler, dann Esprit und die Springer über Oxer und Wassergraben.

Ansonsten herrschte lange Zeit reichlich Tristesse – von Sensationen wie dem pferdelungigen 800-Meter-Läufer Nils Schumann abgesehen. Die Ansprüche waren gigantisch: Von 90 Medaillen hatte die deutsche Mannschaft vorher schwadroniert, bei Halbzeit waren es 22, bis gestern 44; am Ende werden es kaum mehr als 50 sein. 1996 in Atlanta, wo es sogar nur 271 statt 300 Disziplinen gab, gab es noch 66 Medaillen, davon 20 goldene. Und in der Nationenwertung Platz 3. Im Moment hat Germany gerade den Giganten Holland hinter sich gelassen und liegt mit zehn Goldenen auf Platz 7.

Nicht mal die Schützen trafen mehr, Hockey können plötzlich auch andere, und die Säbelfechter liefen in jede gegnerische Klinge. Kanu-Doppelweltmeister Lutz Liwowski fehlstartete in die Disqualifikation; „wie ein Ochse“ habe er sich verhalten, höhnte der Trainer tierfeindlich.

So sind die Begründungen und Ausreden schon die ganze Zeit: Mich sticht da echt der Hafer. Die Hämmer, Disken und Speere der sonst so kraftstarken Deutschmänner und -frauen flogen nicht recht, weil die Athleten „zu nervenschwach“ waren. Dann lag es am Jetlag, das schöne Wetter war zu ablenkend, die „geistige Hochstimmung“ unzureichend. Marc Huster hatte im Gewichtheben nur Silber geholt, weil er „ein belegtes Brötchen zu viel gegessen hatte“. Bei gleicher Hebeleistung gewann ein ungefrühstückter Grieche. Die Schützen beklagten den fehlenden Olympiapsychologen („Wer soll denn den bezahlen?“); der bezahlte deutsche Sportpfarrer lamentierte über die „Eskalation der Gefühle im Misserfolg“. Hieß: Wenn einer versagt, folgen die frustrierten Kollegen wie Lemminge auf die Plätze 4 bis 6.

Von den deutschen Trockenschwimmern haben wir noch gar nicht gesprochen – einer verschluckte sich gar im Aquatic Center und kam mit Wasserbauch nicht voran. Während in Deutschland Missgunst triumphierte und die Presse höhnte („Franzi van Speck“), hatten andere Schwimmställe aufgerüstet. Die Holländerin Inge de Bruijn hieß auch bei den Konkurrenten Ingo. Der Wunderknabe Ian Thorpe erklärt seine Leistungsexplosion mit Schuhgröße 52. So viele lange Nasen in Sydney – ein Beleg für Wachstumshormone? Verdächtigungen sind zahlreich, Beweise gibt es bei den Superstars nicht. Aber die Leistungssprünge und Weltrekorde im Dutzend sind Fakt. Olympia lässt sich als Jubelevent feiern, es ist eine begeisternde Show, aber man muss schon schwer wegdenken beim Hingucken. Das gilt auch für unerklärliche Leistungseinbrüche (etwa 200-Meter-Läufer USA) – wurde da vorsätzlich hektisch was abgesetzt?

Sie fragen, ob die kurznasigen Deutschen schlechter dopen? Oder haben die sogar überhaupt nichts im Hafer? Ich als Pferd weiß nur: Viele aus dem deutschen Athletenstall sind im Sommer, in der Qualifikationsphase, deutlich bessere Zeiten geschwommen, dann wurden im August die Bluttests auf das Wachstumshormon EPO beschlossen. Ein Vaterlandsverräter, wer Böses dabei denkt? Offiziell haben die Deutschen nur zum falschen Zeitpunkt (Qualifikation) geübt, Trainer kasteien sich freiwillig („trainingsmethodische Fehler“). Aber: Andere mussten sich auch qualifizieren.

Nein, sagen Sie nicht, wir Pferde kennen uns da nicht aus. Die Springrösser kennen seit je das körperbetonte Psychodoping, wenn wir beim „Barren“ die fiese Stange vor die Beine gehalten bekommen, damit wir auch richtig hoch hüpfen und nicht unseren Flucht- und Verweigerungsreflexen nachgeben. In Brasilien fiel neulich ein Karatekämpfer tot um, weil er versehentlich am Kraft spendenden Pferdemastmittel genascht hatte. Morphium im Traberblut ist lange bekannt. Und bitte: Was ich so alles im Blut habe, weiß ich genauso wenig wie so mancher zweibeinige Olympionike. Vielleicht trippeln wir ja mit Tranquilizern durchs Geviert.

Doch, es ist auffällig, wie nachhaltig die Dopingdebatte in Deutschland vermieden wird. Dabei wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, es wäre eine gute Erklärung im Misserfolg. Aber alle schweigen. Sehen nur zu, wie die angeblich bedrohte Läuferin Marie Jose Perec davonläuft oder wie US-Hürdlerin Gail Devers, Exolympiasiegerin, ihren Lauf plötzlich abbricht. Haben beide bei mannschaftsinternen Tests zu viel Böses im Blut gehabt? Gail Devers kalt lächelnd: „Wenn du einen Namen hast in den USA, dann brauchst du kaum zu befürchten, dass deine Karriere mit einem Dopingskandal endet.“

In Deutschland halten sie es mit den drei Affen. „Wir werden“, hat einer aus der Schwimmerequipe gesagt, „energisch vom Verband und vom NOK unter Druck gesetzt, zu Doping zu schweigen.“ Nur: Warum gibt es diesen Menschenmaulkorb? Schlechtes Gewissen? Haben andere nur die besseren Pharmaka, wie die Schwimmer etwa Oxyglobin, das noch unnachweisbare neue Wundermittel?

Das olympische Muskeldeutschland hat keinen Sündenbock, wie ihn Erich Ribbeck im Fußball so schön hergab. Es muss sich entscheiden. Entweder krault, läuft, paddelt und kugelstößt man mit klemmenden Hufen hinterher oder macht mit. Die Dopingdebatte ist so peinlich, weil es sie nicht gibt. Manipulationen sind existentieller Bestandteil Olympias. Jeder weiß das. Funktionäre entschuldigen geplatzte Hoffnungen damit, die Kraft der zwei Deutschlands wirke in Sydney erstmals nicht mehr – ein ungewolltes Bekenntnis zu Spritze und Ampulle. Ich bin ja erstens nur ein Pferd und zweitens erst im Wendejahr geboren, aber eines weiß ich: Die DDR war Dopers Dorado. Und die späteren Erfolge der Ost-Athleten im neuen Deutschland auch die Folge früher Stärkungen.

Weil aber alle am Tropf der Olympia-Events hängen, macht keiner den Mund auf. Inklusive Fernsehen: Bloß keine Doping-Fragen. Als US-Schwimmer Mark Spitz (7-mal Gold 1972) im deutschen Fernsehen offen darüber redete, dass auch die Glotze von geilen Erfolgen lebe und die eben nur mit chemischen Manipulatoren funktionierten, da war der Moderator peinlich berührt.

Doch, ich bin froh, nur Pferd zu sein. Ich brauche nicht, wie diese Leichtathleten, farblich als Reichskriegsflagge auf zwei Beinen herumzulaufen. Und lasse mich halt einfach nur munter dressieren. FARBENFROH

Mit dem Goldgewinner sprach Leibesübungs-Redakteur Bernd Müllender

Hinweise:Die Dopingdebatte ist so peinlich, weil es sie nicht gibt. Schweigen ist ein Bekenntnis zum Bösen im Blut.„Wer einen Namen hat, braucht nicht zu fürchten, dass die Karriere mit einem Dopingskandal endet.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen