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„Wir fangen an“

Zwischen Pornofilm und Kunstbetrieb: In Christian Jankowskis Videos darf das Publikum sich über die peinlichen Momente im eigenen Leben freuen

von HARALD FRICKE

Es wurde verdammt knapp. Letzten Montag noch waren erst ein paar Szenen zum Video fertig, das Christian Jankowski für den Hamburger Bahnhof produziert hat. Die Darsteller fehlten – nicht alle, aber zumindest die Arbeiten seiner drei Mitkandidaten für den „Neuen Preis der Nationalgalerie“. Katharina Grosses großflächige Malerei wurde noch von einer Plane verdeckt, und im Raum von Dirk Skreber stand nur ein Teil der Installation. Wie sollte Jankowski da seinen Film „Herzlichen Glückwunsch“ zu Ende gedreht bekommen?

Schließlich hat es doch noch geklappt, „mit ein paar Tricks“, wie der aus Hamburg nach Berlin übergesiedelte Jankowski erzählt, „wir haben immer so gefilmt, dass man die Aufbauarbeiten der anderen nicht sehen kann“. Jetzt ist die Täuschung perfekt: Sein Video zeigt vier Redner, die ihre Laudatio auf die vier neuen Preisträger halten. Denn in Jankowskis Version haben alle gewonnen – er selbst inklusive, wie man auf dem vorab verschickten Foto sieht. Das ist eine schöne Geste für einen Wettbewerb, der Kunst als weiteres Aushängeschild für die Produktivität der Neuen Mitte etablieren soll.

Jankowski machen solche Verdrehungen der Wirklichkeit Spaß. Als der 32-Jährige im vergangenen Jahr zur Biennale nach Venedig eingeladen wurde, bestand sein Beitrag aus einer Videowand mit lauter seltsamen Fernsehschnipseln, für die er bei verschiedenen TV-Wahrsagern angerufen und sich seinen zukünftigen Erfolg als Künstler voraussagen hatte lassen. Das Ergebnis war eine Realsatire auf das Mediengeschäft und zugleich ein Statement über den Kunstbetrieb, der stets Fortschritt verspricht und am Ende doch eher durch Zufall und Glück funktioniert. Oder aber nach den Interessen von Galerien, Sammlern und Museen, die das Neue dann griffig inszenieren wie etwa bei der „Sensation“-Ausstellung.

Auch für diese Mechanismen des Marktes gibt es eine Antwort bei Jankowski. 1997 drehte er zur Eröffnung der Hamburger „Galerie der Gegenwart“ ein Video, in dem ein kleines Kind in der Rolle des Direktors, Uwe M. Schneede, durch die Museumssammlung führt. Selbst die beteiligten Künstler wurden von Kindern gespielt, die „immer wieder stottern und ihren Text nicht richtig aufsagen können“. Dadurch nimmt der Film eine völlig naive Sichtweise an, die im Widerspruch zur sonst so souveränen Betriebsamkeit steht.

Bei Jankowski geht diese Verschiebung von repräsentativer Kultur zur Reality-Soap mit dem Interesse an Performance einher. Schließlich hat er in Hamburg gemeinsam mit Aktionismusprofis wie John Bock und Jonathan Meese studiert. Statt aber den Künstler als mythische Existenz bei komplizierten Ritualen zu zeigen, sucht Jankowski nach Beispielen, in denen Banalität und das alltägliche Scheitern eng beieinander liegen. Dafür arbeitet er immer wieder mit Laiendarstellern zusammen – auch im Pornostudio von Dolly Buster. Dort hatte er letztes Jahr ein Video mit jungen Pärchen aus Wolfsburg gedreht, die im Setting für Sexfilme ihre Beziehungsprobleme diskutieren. Selbst in der fremden Atmosphäre aus Seidenlaken und Dessous konnte sich das Publikum mit Dialogen über Eifersucht oder den ungemachten Abwasch schnell identifizieren.

Diese Unmittelbarkeit ist für Jankowski entscheidend. Es geht ihm darum, die Hemmschwelle zwischen Kunst und Leben möglichst niedrig zu halten. Auch für den Künstler selbst: „In meinen Arbeiten gebe ich auch immer etwas von mir preis, was sich nicht vom Leben der anderen unterscheidet.“ Für Jankowski hat dieser Brückenschlag oft ein Moment der Peinlichkeit, „wo sich der Betrachter vor den Gefühlen schämt, die er selbst hat“. Es sind aber genau diese Momente, in denen die Routine des sozialen Handelns in den Filmen von Jankowski ein wenig aus der Bahn gerät. Erst dann gibt es eine gemeinsame Basis, auf der sich Künstler und Öffentlichkeit gemeinsam ins Ziel bewegen. Dieses Ziel liegt für Jankowski darin, eine für beide Seiten erträgliche Situation zu schaffen. Oder wie er sagt: „Wir fangen an!“ Zur Zeit gewinnt dieses Wir sogar einen Kunstpreis über 100.000 Mark im Hamburger Bahnhof.

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