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Heute stehen Serbiens Räder still

Ein Kompromiss zwischen dem Regime und der Demokratischen Opposition Serbiens „DOS“ wird immer unwahrscheinlicher. Regimetreue Journalisten schlagen sich auf die Seite der Opposition und protestieren gegen grobe Verzerrungen der Tatsachen

aus Belgrad ANDREJ IVANJI

Bereits letzte Woche hatte die DOS alle Bürger Serbiens zum zivilen Ungehorsam aufgerufen, alle staatlichen Institutionen sollen boykottiert werden. Schon ab Freitag streiken fast alle Schulen, aber auch wichtige Teile der Industrie, so die Erdölraffinerie in Pancevo, die Waffenfabrik in Kragujevac, das Kupferwalzwerk in Užice, die Kohlenbergwerke in Kolubara, die die Kraftwerke beliefern, so dass ein Ausfall des elektrischen Stroms droht. Einige wichtige Landstraßen wurden zur Warnung für eine halbe Stunde blockiert. Im ganzen Land finden täglich Massenproteste gegen den Wahlbetrug des Regimes statt. Und am Montag soll es erst richtig losgehen.

Besonders gefährlich für das Regime ist, dass bisher gleichgeschaltete Medien unfolgsam werden. Der Belgrader Radiosender Studio B ist in Streik getreten, das einflussreiche TV Studio B hat über Nacht das Programmschema geändert und überträgt die Massenkundgebungen gegen den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević und Aussagen von Oppositionsführern. In mehreren Provinzstudios des staatlichen Fernsehens haben sich Journalisten gegen die „schamlosen Lügen des Regimes“ aufgebäumt und wurden sofort gefeuert. Das Regime versucht durch Massenkündigungen die Meuterei im Keime zu ersticken.

Und die ermutigte Opposition erhöht den Einsatz: „Wir wollen nicht nur, dass die Wahlergebnisse anerkannt werden und Milošević zurücktritt, wir wollen bis zum Jahresende die komplette Wende durchziehen“, beeilte sich Zoran Djindjić, einer der DOS-Führer, zu verkünden.

Doch auch Präsident Milošević ging am Wochenende in die Offensive. Erholt und gut gelaunt zeigte ihn das staatliche Fernsehen in der Militärakademie in Belgrad, wie er sich locker und kameradschaftlich mit jungen Offizieren unterhält, begleitet vom Generalstabschef und dem jugoslawischen Verteidigungsminister.

Milošević beschuldigte die „inneren Feinde“, dass sie bereit seien, „ausländische Streitkräfte ins Land zu lassen“. „Vergangenes Jahr haben wir ausländische Streitkräfte besiegt, und sie werden es nicht mehr wagen, uns anzugreifen“, erklärte Milošević vor den erst promovierten Offizieren. Deshalb würden sie nun mit „psychologischem, informativem und politischem“ Druck versuchen, Jugoslawien zu destabilisieren.

Die Bundeswahlkommission verkündete offiziell, dass DOS-Präsidentenkandidat Vojislav Koštinica in der ersten Wahlrunde nicht die absolute Mehrheit gewonnen hatte und dass am 8. Oktober eine Stichwahl zwischen ihm und Milošević stattfinden würde.

In der festgefahrenen Situation versucht nun der russische Präsident Wladimir Putin zu vermitteln. Moskau sei bereit, „eine aktivere Rolle in der Lösung des jugoslawischen Konflikts zu übernehmen“, erklärte Putin und bot Belgrad seinen Außenminister Igor Iwanov als Vermittler an. Inoffiziell behaupten unabhängige serbische Medien, dass Milošević Russlands Angebot nicht annehmen werde: Erstens, weil Putin seine Initiative nicht im Voraus mit Belgrad besprochen hätte, was als politischer Druck angesehen werden könne, und zweitens, weil die gegenseitige Animosität zwischen Iwanov und Milošević in Belgrad kein Geheimnis sei.

Die Demokratische Opposition begrüßte zwar den Vorschlag Russlands, verkündete aber auch, dass man über die Wahlergebnisse nicht verhandeln könne.

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