Drei Kreuze für eine Anklage

■ Außer Spesen nichts gewesen: Ausländerbehörde wusste seit acht Jahren von türkischem Pass eines so genannten falschen Libanesen / Falschbeurkundung wurde durch Behörde eingeleitet

Eingestellt – der Prozess war zu Ende, bevor er angefangen hatte. Mahmoud J. war wegen „mittelbarer Falschbeurkundung“ angeklagt. 1996 und 1998 soll der Kurde sich strafbar gemacht haben, indem er Aufenthaltsverlängerungen unter seinem libanesischen Namen beantragte. Als er 1989 mit Ehefrau und acht Kindern einreiste, hatte er dagegen einen Pass auf den Namen Ahmet T. vorgezeigt, den er sich in der Türkei besorgt hatte. Später hatte die Familie als Libanesen Asyl beantragt. Damit gehört die Familie zu der 500-köpfigen Gruppe, die Innensenator Bernt Schulte (CDU) als „falsche Libanesen“ bezeichnet.

Der Mann spricht kaum Deutsch. Einen Dolmetscher hat das Gericht dennoch nicht bestellt: „Der Herr J. lebt doch schon seit elf Jahren in Deutschland. Wie kann das passieren, dass er immer noch kein Deutsch kann?“, räsonniert der Richter über die Integrationskraft der deutschen Gesellschaft. So müssen einstweilen vom Zuschauerraum aus die Söhne des Angeklagten aushelfen, die in Bremen zur Schule gegangen sind.

Aber das Warten auf den Arabisch-Übersetzer hat sein Gutes; die Herren Juristen nutzen die Zeit für ein informelles „Rechtsgespräch“. Und das fördert Erstaunliches zutage: Schon seit 1992 muss der Bremer Ausländerbehörde bekannt sein, dass der Angeklagte eine türkische und eine libanesische Identität verwendete. Das geht aus den Akten seines Asylverfahrens hervor.

Die Behörde führte dennoch weiterhin den libanesischen Namen Mahmoud J. in ihrem Register. Folglich stellte der 50-Jährige auch seine Anträge unter diesem Namen, denn er ist Analphabet. Wenn er zum Ausländeramt ging, um seinen Aufenthalt zu verlängern, legte er lediglich sein deutsches Passersatzpapier vor. Der Beamte füllte das Formular aus und J. machte hinterher drei Kreuze anstelle einer Unterschrift.

Daraus eine schuldhafte Falschbeurkundung abzuleiten, erschien dem Richter ein wenig dünn. Schließlich sei der Angeklagte nicht vorbestraft und sei sich als Analphabet womöglich der Tragweite seines Tuns nicht bewusst gewesen. Außerdem, so formuliert der Richter vorsichtig, sei „ein Mitverschulden der Ausländerbehörde nicht auszuschließen“. Der Amtsrichter schlägt daher eine Einstellung des Verfahrens vor, bevor es überhaupt eröffnet wurde.

Der Staatsanwalt ist für einen kranken Kollegen eingesprungen. Nachdem er sich kurz in die Akten eingelesen hat, muss er einsehen, dass die Anklage nicht zu halten ist, und stimmt der Einstellung zu. Verteidiger Reinhard Engel ist ebenfalls einverstanden. Er vermutet, dass die Ausländerbehörde 1992 kein großes Interesse daran gehabt habe, die türkische statt der libanesischen Identität einzutragen: Für türkische Kurden gab es damals gute Chancen, wegen Gruppenverfolgung Asyl zu erhalten. Libanesen konnten bei Passlosigkeit lediglich eine Duldung erwirken.

Der herbeigerufene Dolmetscher kann Mahmoud J. gerade noch erläutern, dass er straffrei bleibt. Dann ist das Verfahren beendet. Die Verfahrenskosten trägt die Staatskasse. Ausländerrechtlich nützt das der Familie J. allerdings herzlich wenig: Aufgrund ihrer türkischen Pässe gelten sie nach wie vor als Türken und sind von Abschiebung in die Türkei bedroht. Der Sohn des Angeklagten versteht das nicht: „Das ist doch Quatsch: Seit 1992 weiß die Ausländerbehörde von unseren türkischen Pässen und nie haben sie versucht uns abzuschieben. Ausgerechnet jetzt, wo wir mitten in der Schule ste-cken, soll es losgehen.“ Nichts Neues für Matthias Brettner vom Antirassismus-Büro: „Dieser Fall bestätigt unsere bisherigen Recherchen, dass die Tatsache der so genannten falschen Libanesen den Behörden seit Jahren bekannt waren. Hier wird erneut deutlich, dass es sich um eine Kampagne des Innensenators handelt.“ Jan Kahlcke