Filmstarts à la carte
: Warum das Kino feiern?

■ Er ist der wohl einflussreichste Regisseur ohne kommerziellen Erfolg: Immerhin schaffte es Jean-Luc Godard rund 35 Jahre lang, Geld für seine vielfältigen Projekte aufzutreiben, ohne dass seine Filme - mit Ausnahme von „Außer Atem“ - je auch nur einen müden Centime eingespielt hätten. Doch in den letzten Jahren ist es still geworden um den genialen Querdenker. Eine seiner letzten Arbeiten entstand 1995 in Zusammenarbeit mit Anne- Marie Miéville für das British Film Institute (“weil Tavernier keine Zeit hatte“, wie Godard sogleich bemerkt): „Deux fois cinquante ans de cinéma français“, ein eigenwilliger Blick auf einhundert Jahre französische Kinogeschichte. Natürlich reihen sich hier keine Filmausschnitte aneinander: In seiner typischen Manier gestaltet Godard eine Collage aus sich überlappenden Bildern, Tönen, Schriften, Musiken, literarischen und filmischen Zitaten. Zudem erweist sich der Regisseur einmal mehr als Meister der naheliegenden Fragen, auf die sonst niemand kommt: Michel Piccoli, der Präsident der Vereinigung „Prémier siècle du cinéma“, wird denn auch gleich mit der Frage überfahren, wozu das Kino überhaupt gefeiert werden soll. „Ist es noch nicht oder nicht mehr berühmt genug?“ Und feiert man, wenn man das Datum der ersten öffentlichen Kinovorstellung gegen Eintritt als Jahrestag des Jubiläums nimmt, nicht eigentlich die Vermarktung des Kinos? An die Filme, an die Namen der Stars und Regisseure erinnert sich heute sowieso niemand mehr, lautet Godards Theorie. Michel Piccoli wird ihr in kleinen Spielhandlungen nachgehen...

„Deux fois cinquante ans de cinéma français“ (OmU) 9.10. - 11.10. im Lichtblick-Kino

■ Jacques Demys Werk gehört zum Ungewöhnlichsten, was die französische Kinogeschichte zu bieten hat: Neben Filmen, in denen alle Dialoge gesungen werden (“Die Regenschirme von Cherbourg“, „Die Mädchen von Rochefort“, „Ein Zimmer in der Stadt“), stehen reine Märchenverfilmungen (“Eselshaut“ und „The Pied Piper of Hamelin“) sowie Geschichten, die das Schicksal einer Figur nach über einem Jahrzehnt noch einmal neu aufnehmen (“Lola“ und „The Model Shop“). Alles stets sehr musikalisch, oft sehr farbig und geprägt von persönlichen Eindrücken. Demy verstarb 1990, ein Jahr später brachte seine Witwe, die Filmemacherin Agnès Varda, mit „Jacquot de Nantes“ einen Film ins Kino, der - auf den Erinnerungen Demys basierend - die Geschichte der Kindheit und Jugend des kleinen Jacques aufrollt: seine Liebe zu Marionetten und Puppen, das Leben mit den netten Eltern, die stets ein Lied auf den Lippen haben, die Entdeckung des Kinos. Wer hätte gedacht, dass aus der Erkenntnis, Walt Disneys „Schneewittchen“ sei toll, weil sie auch beim Fegen und Kuchen backen noch singt, einmal eine ganze Filmkarriere werden könnte? Wie sich die kindlichen Vorlieben Demys in seinen Filmen niederschlugen, kann man im Regenbogenkino gleich selbst überprüfen: anhand von „Die Regenschirme von Cherbourg“, einer durchweg gesungenen bittersüßen Liebesgeschichte mit extravaganter Farbdramaturgie.

„Jacquot de Nantes“ (OmU), „Die Regenschirme von Cherbourg“ (OmU) 6.10. - 9.10. im Regenbogenkino

■ Den bis heute interessantesten Film über einen Künstler schuf Henri-Georges Clouzot 1956 mit „Le mystère Picasso“: keine der üblichen Dokumentationen über Persönlichkeit oder Schaffensphasen des berühmten Spaniers, sondern der gelungene Versuch, den kreativen Prozess des Malens für das Publikum durchsichtig zu gestalten. Und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn Picasso fertigt seine Tuschmalereien auf transparentem Material an, sodass der Eindruck entsteht, er male direkt auf der Kinoleinwand. Später verfolgt Clouzot mit der Kamera die Entstehung einiger Ölbilder, die Picasso die Möglichkeit bieten, seine Entwürfe stets aufs Neue zu überarbeiten: von der heiteren, sonnigen Strandszene zur düsteren Nachtszene. Erklärt oder kommentiert wird in „Le mystère Picasso“ nichts - und doch hat man das Gefühl, dem Genie beim Denken zuschauen zu können.

„Le mystère Picasso“ 5.10. im Lichtblick-Kino Lars Penning