: Dies ist unsere Musik
Mit seinem neuen Film begibt sich Barry Levinson noch einmal ins Amerika der Fünfzigerjahre. „Liberty Heights“ schildert eine Jugend zwischen jüdischer Sozialisation, Bikinibeauties und Songs von James Brown – ethnische Differenzen verschwimmen zart utopisch im Sog der aufkommenden Jugendkultur
von KERSTIN STOLT
Eigentlich galt die Baltimore-Trilogie von Barry Levinson schon als vollendet, denn in „Diner“ (1982), „Tin Men“(1987) und „Avalon“ (1990) standen seinem Hang zur Idyllisierung des American Way of Life immer noch die eigenen Erinnerungen an eine 50er-Jahre-Kindheit im Weg. Diesen drei Filmen gelang deshalb auch ein bemerkenswerter Drahtseilakt: Einerseits beschrieben sie den traurigen Zerfall von Ehen, Familien und Arbeitsverhältnissen, andererseits konnte den Figuren dabei gar nicht viel passieren – in Levinsons Uramerika gab es immer noch genug Ressourcen für einen Neuanfang.
Mit seinem neuen Film hat sich Levinson in diese Welt von pastellfarbenen Riesenautos und boomenden Fernsehgeschäften zurückbegeben – nach eigenen Aussagen aufgrund eines Artikels, der Dustin Hoffmans Charakter im Levinson-Film „Sphere – Die Macht aus dem All“ als Juden identifizierte. Verärgert über solche Stereotypisierungen siedelte Levinson die Handlung von „Liberty Heights“ in einem größeren sozialen Gefüge an, sodass zutage tritt, was bisher in den Baltimore-Filmen nur eine Randerscheinung war: das Jüdischsein einer Familie. Nur handelt es sich dabei eben nicht um eine feste Größe. Ben (Ben Foster) zum Beispiel ist zwar irgendwann aufgefallen, dass die Leute jenseits seines Viertels Liberty Heights ungetoastetes Weißbrot essen. Aber während die Mutter noch mit drohendem Unterton von „the other kind“ spricht, unterlaufen Ben und sein älterer Bruder Van (Adrien Brody) die Abgrenzung von der nichtjüdischen Nachbarschaft. Der anfängliche Blick über den Zaun, hinter dem ein Mädchen im Badeanzug tanzt, hat da Modellcharakter. Ben verliebt sich in Sylvia, eine Afroamerikanerin, die seit neuestem seine Schule besuchen darf. Van stellt einer ebenso reichen wie neurotischen Blondine nach.
Nun ist Levinson nicht gleich auf eine Tragödie aus: Zum einen macht er lieber Witze, zum anderen ist der grassierende Antisemitismus hier auch nur schwer zu lokalisieren. Ein Schild vor dem Schwimmbad verkündet zwar „No Jews, Dogs and Coloreds“, aber eine entsprechende Ideologie vertritt keine der Figuren. Und wenn der Wasp-Nachwuchs tatsächlich mal einen Freund von Van verprügelt, spielt gut gelaunte Musik auf, die das „Are you Jewish? Say it!“ bald übertönt; die Schlägerei wird zum zeitlosen Bild eines Teenagerlebens à la „. . . denn sie wissen nicht, was sie tun“.
Dass die Teenager letztlich bereit sind, ethnische Differenzen hintanzustellen, ist nicht zuletzt auch dem Sog der aufgehenden Jugendkultur zu verdanken. Bens Romanze mit Sylvia jedenfalls gestaltet sich als nachmittägliche Einführung in die Geheimnisse des Rhythm ’n’ Blues und gipfelt im gemeinsamen Besuch eines James-Brown-Konzerts. Wobei der Epilog die Idee einer Breitenkultur noch mal modifiziert: In einer Montage verschiedenster Songs wird auch der Raum einer vielstimmigen amerikanischen Gesellschaft konstruiert. Es mag überraschen, dass Levinson dabei zugleich den alten Familienzusammenhalt beschwört.
Aber ob nun Ben seine Eltern verprellt oder der Vater wegen krummer Geschäfte doch noch ins Gefängnis muss – ebenso wie im idealen Amerika bleibt in der Familie jeder Bruch in ein Gemeinschaftsgefühl gebettet. Und weil erst hektisch zwischen den Erzählsträngen hin und her geschnitten wird, bis die einzelnen Szenen endlich in einen gemeinsamen Rhythmus fallen, macht man die Bewegung auf ein großes Ganzes hin auch dankbar mit. So vermittelt „Liberty Heights“ wieder eine Art Grundgeborgenheit, obwohl Levinson Beziehungen durchaus scheitern und Differenzen gelten lässt. Mit dem amerikanischen Traum im Rücken braucht man eben noch nicht mal ein Happy End.
„Liberty Heights“. Regie: Barry Levinson. Mit Adrien Brody, Bebe Neuwirth, Joe Mantegna u. a. USA 2000, 127 Min.
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