: Britische Proleten für Bosnien
Wenn der Krieg nach Westeuropa wandert und in Londons Bussen landet. Jasmin Dizdars Film „Beautiful People“ schüttelt eine Großstadt durcheinander und schildert die verrückte Parallelität von britischem Alltag, Medienrealität und Balkankrieg
von CLAUDIA LENSSEN
In einem Straßenbus wird ein stämmiger Fahrgast von einem anderen, der ihm ähnlich sieht, beim Zusteigen erkannt und sofort verdroschen. Der Fahrer wirft beide hinaus, aber damit beginnt eine scheinbar endlose Verfolgung zu Fuß, eine Keilerei zwischen zwei Windjacken-Pummeln, die einen zum Lachen bringt wie eine richtig bösartige Slapstickjagd – angeheizt von dampfender Musik à la Goran Bregović. Die schrillen Balkan-Töne sind aber von Gary Bell, und der Bus fährt durch London, und da passiert es, dass die täppischen Schlagetots eineinander ankeuchen: „Du hast mein Dorf zerstört! Du hast meine Familie umgebracht!“
Jasmin Dizdar, Autor und Regisseur von „Beautiful People“, hat so etwas in London selbst noch nicht erlebt. Dort, sagt er, sortiere man sich in seinen Kreisen nicht nach Nationalitätszugehörigkeit. Beim Casting waren die Gesichter wichtig, und erst später erzählte sich das Team, woher jeder ursprünglich stammt. Eine Bulgarin spielte eine Albanerin, ein Serbe einen Bosnier usw. Mit politischer Analyse hält Dizdar sich nicht auf. Für ihn sind die Balkankriege eine Mentalitätsfrage: „Slawen haben sich doch seit Jahrhunderten gegenseitig bekriegt und umgebracht, das lässt sich nicht durch weltweite Entrüstung reparieren.“ Früher habe man in seinem bosnischen Heimatdorf serbische Nachbarn gehabt, mit denen es sich gut lebte. Seit dem Krieg sei deren Haus von bosnisch-muslimischen Flüchtlingen belegt, mit denen das Dorf nicht zurechtkommt – „so sieht nun mal die Wirklichkeit aus!“
Dizdar interessiert, was wir für historische Wahrheit und moralisches Prinzip halten, was sich aber schon im nächsten Moment als Ressentiment herausstellen kann. Den Schock will er nutzen, die Wahrnehmung und das moralische Urteil provozieren. „Lachen über das eigene Ressentiment ist die einzige Therapie; nur so wird sich etwas bewegen, und in Westeuropa anders als in den Balkanländern“, meint er. In seinem Film geraten denn auch die verschiedensten Kulturen, Schichten in einer montagetechnischen Radikalkur an- und durcheinander: Während zwei Hooligans Geld für das Länderspiel in Rotterdam auftreiben wollen, versucht sich ein gerade von der Ehefrau verlassener Arzt zwischen Job und Kindern zu organisieren. Ein Fernsehreporter streitet mit seiner Frau über die bevorstehende Abreise nach Bosnien, während ein ehemaliger Basketballer von dort in London vor ein Auto läuft usw.
Spiele mit wechselnden Perspektiven, mit Images, mit Irritationen zwischen Gut und Böse sind Dizdars liebste Methoden. „Dialektische Sprünge wirken natürlich als ideale Tempomacher, sind gut für Überraschungsgags und Lacher, ein gefundenes Fressen für filmmaker’s games“, freut er sich. Also setzt er vor die politische Vision die Pointe, vor die Predigt das kathartische Gelächter, vor das Lehrstück die Triebkraft der Komödie. Als Junge hat Dizdar Eintrittskarten für den örtlichen Filmclub gefälscht, sich mit zwölf in den „Letzten Tango in Paris“ geschmuggelt, dann den Club selbst gemanagt. So jemand muss vom Kino einiges halten. In Prag hat er das Filmemachen studiert, bevor er sich 1989 in London niederließ. Die Balkankriege kennt er aus der Distanz, versteht sich als europäischer Filmemacher, dessen schwarzer Humor von den Londoner Straßen ebenso geprägt ist wie von seinem Herkunftsland. Sarkastische Farcen wie „Catch 22“, „MASH“ oder „How I won the War“ sind Dizdars Vorbilder. Von Nichols, Altman, Lester leiht er sich Kniffe, um Heldenmythen zu zerpflücken. Aber bei ihm geht es dreißig Jahre später nicht mehr um erbärmliche Frontschweine, sondern um die verrückte Parallelität von britischem Alltag, Medienrealität und Balkankrieg.
„Beautiful People“ ist ein Ensemblefilm, ein dichtes Netz von Shortcut-Geschichten, ein Querschnitt durch den globalen Garten, den Dizdar in seinem London wuchern lässt. Eine rasende Folge von Liebesgeschichten, Familienzwisten, blutigen Lazarettszenen, klassischen Missverständnissen zwischen Eltern und Kindern, Rachefeldzügen und vor allem schier unglaublichen Läuterungen vom bösen Buben zum Wohltäter.
In einer Szene ist Heroin das Corpus Delicti im Zimmer des notorisch verschwiegenen Griffin – Hooligan, arbeitslos, Sohn einer peniblen Lehrerfamilie –, ein paar Szenen später hilft sein Stoff bei einer Notamputation in einem KFOR-Zelt in Kosovo als schocklösende Medizin. Sein härtester Junkie-Kumpel, ein brutaler Rassist, liest am Ende einem blinden Kriegsopfer-Kind Gutenachtgeschichten vor.
Umgekehrt gibt „Beautiful People“ nicht nur Gutmenschentum zu kosten; der Aufsteiger des Films, vom Flüchtling zum Gatten einer jungen Ärztin avanciert, entpuppt sich auf der Hochzeitsparty als Charmeur mit Scharfschützenvergangenheit. Wie Griffin dann, statt zum Länderspiel in Rotterdam zu fahren, versehentlich auf einem Hilfspaket am Fallschirm in Kosovo landet und dort einen BBC-Reporter aus der Londoner Nachbarschaft trifft, ist eine der typischen spielerischen Schicksalswendungen von „Beautiful People“. Dabei muss man Dizdars Blitzdramaturgie widerstandslos folgen, sonst ist man für diesen Film verloren.
Ob die Figuren manchmal nicht ein wenig zu Karikaturen verkürzt sind? Dizdar räumt ein, dass die globale Vernetzung seiner Storys auf eine zweieinhalbstündige erste Fassung angeschwollen sei, darum die radikale Beschleunigung und der Cartoon-Charakter. So ist zwar die Friedensstiftung im Schnelldurchlauf ein wenig anstrengend, aber Dizdars Fantasien zu einem europäischen Crossover von Mitmenschlichkeit verschlagen einem die filmkritische Sprache. Sie sind schon ein kleiner evolutionärer Schritt.
„Beautiful People“. Regie: Jasmin Dizdar. Mit Charlotte Coleman, Danny Nussbaum, Edin Dzandzanovic u. a. England 1999, 107 Min.
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