piwik no script img

Von Vorurteilen, Sprache und Bildern

Roman und Film: Feridun Zaimoglu und Lars Becker heute Abend im N + K Club  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Wer schreibt eigentlich heutzutage noch Briefe? Es muss doch bekloppt sein, wer sich im E-mail-Zeitalter die Mühe macht, zum Stift zu greifen, und das Resultat dann den Postunternehmen womöglich noch unterschiedlicher Nationen anzuvertrauen, die für den Transport in der Regel zwischen zwei und vierzehn Tagen benötigen, nur um den Empfänger mit einer unleserlichen Handschrift stundenlang beschäftigt zu halten. Das ist die erste Irritation, die Feridun Zaimoglus neues Buch Liebesmale, scharlachrot auslöst, denn es ist ein Briefroman. Und ganz der literarischen Form entsprechend hat sich der Rotbuch Verlag erstmalig bei einer Veröffentlichung des Autors für ein Hardcover entschieden.

Der Briefroman – ein Produkt der Empfindsamkeit des 18. Jahrhunderts – ist in Deutschland eng mit den Anfängen der Nationalsprache verknüpft. Und die ging bekanntlich anders als etwa in Frankreich der territorialen Einheit weit voraus, die sie herbeisehnen und herbeireden sollte. Goethes Die Leiden des jungen Werther gilt als der Höhepunkt dieser literarischen Form. Zaimoglu nähert sich, dies eine weitere Irritation, auch sprachlich jener Zeit an. Neben einer überalterten Grammatik äußert sich das in Vokabeln wie „keck“, „rausdräuen“, „furchig“ oder „ergötzen“, um nur ein paar zu nennen. Es liegt sehr nahe, das für eine Liebeserklärung an die deutsche Sprache zu halten. Mehr noch, denn der Brief, mit dem der von Kiel an die Ägäis gereiste Serdar die Korrespondenz mit dem im Norden gebliebenen Hakan eröffnet, gibt bekannt: „ ... ich bin gesund und verspüre allerlei Munterkeiten, und ich bin heil und ohne Gram, ohne ein Gramm Verlust jener Transzendenz, die mein hochkörperliches Wesen in meiner kalten Heimat ausstrahlte“, und lässt so keinen Zweifel aufkommen, wo Heimat und wo Fremde ist.

Doch in erster Linie irritiert Zaimoglu hier eine Erwartungshaltung seiner Leserschaft. Für authentisch „street“ wurde nämlich bisher meist die Sprache gehalten, derer sich die Helden und Heldinnen seiner Bücher Kanak Sprak, Abschaum und Koppstoff bedienen – und das, obwohl auch ihr schon starke Stilisierungen anzumerken waren. Analog dazu wurde für bare Münze genommen, was die vorgeblich durch Zaimoglu bloß aufgezeichneten O-Töne vom Leben in Almanya zu vermelden hatten, frei nach dem Motto: „Ja, so sind sie, die Türken.“ Die Bearbeitung des Wirklichkeitsmaterials durch den Autor gerät dabei allerdings völlig aus dem Blick. Zaimoglus Intervention richtete sich nämlich gegen einen deutschen Blick auf MigrantInnen, der nur ihr Selbstmitleid, ihr stilles Dulden der Anfeindungen und ihre kulturelle und ökonomische Armut zu fassen bekommt. Dieser Kretinisierung setzte er selbstbewusste, starke, agressive, mal vorzüglich gebildete, teils mit White-Collar-Jobs ausgestattete „Deutschländer“ entgegen.

Dabei überholte ihn allerdings in den letzten Jahren eine starke Veränderung und Auffächerung der Bilder, die sich „die Deutschen“ von denen machen, die sie für nicht deutsch halten. Fest im Kanon dieser Bilder ist inzwischen der „aggressive“, der „fanatisch gewalttätige“, der frauenfeindliche und der mit Drogen handelnde „Ausländer“. Es ist Zaimoglu vorzuwerfen, dass er in seinen Texten solche – nennen wir sie – Vorurteile mit der scheinbaren Wirklichkeit von Literatur immer wieder unterfüttert hat. Auch in Liebesmale, scharlachrot dreht sich fast alles um Frauen und männlichen Sex, das Erektionsproblem von Serdar ist Thema eines jeden Briefes, erscheint als der eigentliche Motor der Korrespondenz.

Den falschen Schein von Realität erzeugt noch viel mehr das Medium Film. Wenn heute Abend auf Kampnagel Zaimoglu aus Liebesmale, scharlachrot und Lars Becker aus dem Drehbuch seiner Verfilmung der Dealer-Story Abschaum lesen und diskutieren werden, dürfte genau dies zur Frage werden. Ausschnitte aus dem Film Kanak Attack, der am 16. November bundesweit startet, werden der Diskussion einheizen.

heute, 19.30 Uhr, N + K Club, Kampnagel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen