: Großbaustelle Kurdistan
„Südost-Anatolien-Projekt“ nennt sich das ehrgeizige Vorhaben, aus einem immer noch „wilden Kurdistan“ eine friedvolle und wirtschaftlich florierende Region zu machen. Mit 22 Staudämmen und siebzehn Wasserkraftwerken soll das Güneydogu Anadolu Projesi (GAP) Ostanatolien zum Blühen bringen, hoffen die Planer.
GAP verfolgt vor allem zwei Ziele: Einerseits soll die Stromproduktion um siebzig Prozent auf 27 Milliarden Kilowattstunden im Jahr gesteigert werden. Andererseits sollen rund 1,6 Millionen Hektar Land bewässert werden. Das entspricht einer Fläche, die fast so groß ist wie das Saarland und Rheinland-Pfalz zusammen. Damit würde die kriselnde Region zum „Brotkorb“ des Nahen Ostens.
Erst im Jahr 2010 steht der letzte Damm, so ist zumindest die Planung. 6,6 Milliarden Dollar erwarten die Funktionäre dann aus dem Verkauf von Nahrungsmitteln. 55 Sorten von Früchten und Getreiden versprechen einen beachtlichen Exportschub. Der würde Reinvestitionen mit sich bringen und weitere Industrie ansiedeln.
Wasser ist im Nahen Osten oft die „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“. Denn nicht nur die Türkei schlägt sich um das kostbare Nass. GAP führt immer wieder zu Konflikten zwischen Syrien, dem Irak und der Türkei. Alle drei sind auf das Euphrat-Wasser angewiesen. Um die neu gestauten Flächen zu fluten, zwackt die Türkei bisweilen so viel vom Euphrat-Wasser ab, dass die syrischen Wasserkraftwerke schwächeln. Unmittelbare Folge: In der Landeshauptstadt Damaskus gehen die Lichter aus. Im Gegensatz zu Syrien kann der Irak wenigstens noch auf den Tigris zurückgreifen. Aber auch hier fürchten Politiker, dass GAP langfristig Weizen- und Reisfelder im Zentral- und Südirak ausdörren könnte.
Mesopotamien, das Gebiet zwischen Euphrat und Tigris, ist reich an Kulturdenkmälern wie kaum eine andere Region auf der Erde. „Wo immer Sie in diesem Land eine Spitzhacke schwingen“, scherzte unlängst Tourismusminister Erkan Mumcu, „springt Ihnen ein archäologischer Schatz entgegen.“ Den Überresten einer sechstausend Jahre alten Kultur droht das Aus.
Bereits betroffen ist der Grabungsort Zeugma, das „Troja des Nahen Ostens“. Archäologen aus der Region haben sich bereits damit abgefunden, dass ihre Grabungsstätten früher oder später geflutet werden. Alles, was sie verlangen, sind ein paar Monate Zeit für Notgrabungen. Aber wenn die Wassermassen entsprechend gedrosselt würden, entstünden bei der Stromgewinnung Verluste von dreißig Millionen Dollar monatlich. „Ich glaube nicht, dass sich der Staat diesen Luxus leisten kann“, sagte Yüksel Onaran, der Direktor des Birecik-Kraftwerks, dem Spiegel. Jüngst gefährdete Grabungsstätten sind nun Halfeti am Euphrat und Hasankeyf am Tigris.BJÖRN KERN
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