: Die Stunde der Wahrheit
Slobodan Milošević sucht ein Asyl? Da hätten wir doch was für den Altdiktator
„Es ist die Stunde der Wahrheit“, eröffnete am Donnerstagabend Petra Gerster treffend die ZDF-Nachrichten zur Lage in Belgrad. Wir stellen uns der Verantwortung: Es ist die Stunde der Wahrheit! Denn die meist gestellte Frage in der serbischen Hauptstadt lautet: Wo ist Slobodan Milošević? Und die meist gestellte Frage in den übrigen Hauptstädten der Welt lautet: Wo soll Slobodan Milošević hin? Nur die Wahrheit kann darauf eine einleuchtende Antwort geben.
Das Leidige an so genannten Revolutionen in Diktaturen ist stets die Entsorgung des Despoten. Sofort werden die klassischen Diktatoren-Reiseländer als Ziel der Tyrannenverklappung genannt: Russland, China, Nordkorea oder Libyen. Doch gerade am Beispiel Milošević’ zeigt sich sehr schön, dass keiner der ausgespähten Zielorte in Frage kommt. Wie sollte der gute Slobo seine in die Schweiz und an andere Orte transferierte Diktatorenrente zum Beispiel in Pjöngjang Genuss bringend veräußern? Jeden Tag drei Schälchen Reis mümmeln und mit Kim Jong Il importierten Billigwhisky schlürfen, darf nicht das Ende eines verdienten Tyrannen sein.
Zu oft werden Menschen nach der Beendigung ihrer Lebenslaufbahn aufs Altenteil geschoben. Sie verkümmern zusehends und verlieren sich in sinnlosen Depressionen. Dabei könnte ihr umfangreiches Wissen von den kommenden Generationen genutzt werden. Gerade der Erfahrungsschatz eines langjährigen, erfolgreichen Diktators wie Slobodan Milošević darf nicht ungehoben bleiben.
Deshalb hat sich die Wahrheit zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen: Slobo darf bei uns wohnen. Slobo ist stets willkommen. Selbst, wenn ihn alle hassen, hier findet er immer offene Arme. Allerdings ist dieser Unterschlupf mit einer kleinen Aufgabe verbunden. Milošević wird neuer Kühlschrankwart der Wahrheit. Im wahren Kühlschrank darf er auch schlafen. Erfahrungen mit Eiseskälte hat der beliebte Altdiktator ja seit Jahren. Überdies könnte Milošević den Kühlschrank säubern, aber bitte nicht ethnisch – uns sind alle Getränkesorten willkommen. Mit seiner Intrigenerfahrung dürfte Milošević ein echter Gewinn für die Wahrheit sein, wenn es um interpersonelle Schwierigkeiten im Hause geht. Er könnte überhaupt eine Art Pannenwart der Wahrheit werden: Ausfälle würde er mit leichter Hand beheben. Er wäre auch der Richtige, unseren Traum einer Groß-Wahrheit-Redaktion zu verwirklichen und ehemalige taz-RedakteurInnen, gleich, in welcher Enklave sie ihr Dasein fristen, wieder heim zu holen, heim ins Reihenhaus, die Reihen fest geschlossen, ab 5 Uhr 45 wird zurückgeschlossen.
Wir wissen schon: Das wird nicht allen gefallen. Vor allem der Bundesaußenminister wird es sich mal wieder nicht nehmen lassen, in der ihm eigenen, äußerst unangenehmen Weise gegen diesen Akt der wahren Humanität zu agitieren. Der große Großserbe ist eben nicht jedermanns Sache.
Doch auch unsere Menschlichkeit hat ihre Grenzen. Im Kühlschrank ist nur Platz für eine Person. Seine Frau Milena soll Slobo bitte daheim lassen. Die Dame mit dem eingefrorenen Lächeln wollen wir hier nicht sehen. Der Wahrheit-Kühlschrank würde ob ihres natürlichen Frostes prompt vereisen.
MICHAEL RINGEL
STEFAN KUZMANY
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