: „Gepflegtes Mittelstands-TV“
Der Deutsche Fernsehpreis wird am Wochenende zum zweiten Mal verliehen (Übertragung: So., 20.15 Uhr, ZDF). Ein Gespräch mit dem Jury-Vorsitzenden Lutz Hachmeister über „Big Brother“, Kreativität, ARD-Süßstoff-Offensiven und gute Unterhaltung
Früher beweihräucherten sich die Sender hübsch untereinander, beim öffentlich-rechtlichen „Telestar“ und dem von RTL ausgelobten „Goldenen Löwen“. Das Ansehen dieser Auszeichnungen in der Branche und beim Publikum war entsprechend mäßig. 1999 gab es zum ersten Mal den Deutschen Fernsehpreis (DFP), ein Gemeinschaftsprodukt von ARD, ZDF, RTL und Sat.1. Heute abend wird der DFP zum zweiten Mal verliehen, die Gala folgt 24 Stunden später im ZDF. Vorsitzender der unabhängigen DFP-Jury ist Lutz Hachmeister, ehemals Direktor des Adolf-Grimme-Instituts, das den renommierten Adolf-Grimme-Preis vergibt.
Der Deutsche Fernsehpreis zum Zweiten: Hat die Branche die neue Auszeichnung angenommen?
Lutz Hachmeister: Wenn man die Begehrlichkeiten als Gradmesser nimmt – Anfragen nach Einladungen zur Gala, dezente Hinweise an die Jury, dieses oder jenes Programm nicht zu vergessen – dann ist der Deutsche Fernsehpreis auf einem guten Weg. Es gab ja auch schon Vorläufer, Telestar und Goldener Löwe, aber die Branche erwartet von der Fusion sicherlich einen Mehrwert.
Wie sieht es mit der öffentlichen Resonanz aus? Vom Bekanntheitsgrad internationaler Awards wie der Emmys ist der DFP ja doch noch einiges entfernt.
Der erste Emmy ist 1948 im Hollywood Athletic Club zelebriert worden, unter den Preisträgern der ersten Jahre waren Groucho Marx, Dean Martin, Jerry Lewis und Lucille Ball. Ich denke, das sagt schon einiges über kulturelle Unterschiede aus und über die Strecke, die wir noch bewältigen müssen. Es wird wichtig sein, in die PR für den Preis ordentlich zu investieren. Nur eine Abendgala, und dann Sendepause – das reicht nicht.
Gibt es eine Konkurrenz von DFP und Grimme-Preis?
Natürlich ist der Deutsche Fernsehpreis höher anzusiedeln als seine Vorläufer, weil die Jury unabhängig operieren kann und direkte Eigenauszeichnungen der Sender jetzt ausgeschlossen sind. Dieses Land wird auch zwei begehrte TV-Auszeichnungen verkraften können. Es wird zu gewissen Überschneidungen, aber auch Befruchtungen kommen. Unspannend wäre eine Dublette. Die Entscheidungen des Deutschen Fernsehpreises werden sich etwas näher am Publikum und an der Branche orientieren, ohne dass dadurch „Grimme“ eine Veranstaltung für randständiges Programm werden muss. Das würde man in Marl auch gar nicht mit sich machen lassen.
Bei den DFP-Vorläufern Telestar und Goldener Löwe schoben sich die Sender untereinander die Preise zu. Welchen Einfluss haben sie heute auf das Nominierungsverfahren und die Jury-Entscheidungen?
Es gibt Sender, die sich in nobler Zurückhaltung üben, und andere, die schon sehr drängeln. Die Zumutungen hielten sich in Grenzen. Im übrigen sind Hinweise auf herausragende Leistungen ja durchaus erwünscht.
Deutschland hat – so sagen jedenfalls diverse deutsche Senderchefs – das beste Fernsehen der Welt. Sieht man das auch beim DFP?
Es wäre kein guter Stil, als Jury-Vorsitzender auf konkrete Defizite der deutschen Fernsehproduktion hinzuweisen. Natürlich gibt es die in einigen Genres. TV-Dokumentationen und Krimis, Thriller, das ist international sehr konkurrenzfähig, auch manches Melodram. Ansonsten ist es immer gut, sich die Spitzenleistungen aus dem angelsächsischen Raum bewusst zu machen – „Ally McBeal“, „Futurama“, „West Wing“ zum Beispiel
Wie beurteilen Sie dann die aktuelle Quotendebatte und die „Süßstoff“-Offensive der ARD?
Man sollte vielleicht mehr auf die Sprache und den Stil in Konzeptpapieren achten, weil auch da Sprache und Stil für ein bestimmtes Bewusstsein stehen. Ich halte es für selbstverständlich, dass man je nach Sujet und Ästhetik einer Fernsehproduktion von einer erwartbaren Publikumsresonanz ausgeht, ebenso selbstverständlich ist, dass jeder Versuch einer Normierung in die Irre führt. Die Orientierung an populär-kultureller Qualität in der Branche, bei den Produzenten, ist ohnehin sehr hoch. Sehen Sie sich mal an, wie „Kleine Fernsehspiele“ früher oft daherkamen und wie sie jetzt aussehen. Man muss eher Angst haben, dass alles auf ein gepflegtes Mittelstandsfernsehen zusteuert.
Wirklich Neues ist im deutschen Fernsehen kaum auszumachen. Trendsetter, z.B. Doku-Soaps oder „Big Brother“, werden hier erst adaptiert, wenn sie woanders Erfolg hatten.
Die „Fußbroichs“ kamen nun mal vom WDR, und der WDR hat dann den Erfolg seines eigenen Programms nicht richtig ernst genommen. Die Reality Show gab es zunächst bei MTV, dann bei Premiere. Es kommt drauf an, Ideen zu industrialisieren, wenn man ein Format nachhaltig setzen will. Man muss manchmal auch Startschwierigkeiten in Kauf nehmen, länger durchhalten. Mehr schöpferische Energie wünschte man sich manchmal schon.
Stichwort „Big Brother“: Was sagt der Jury-Vorsitzende zur Nominierungsschelte?
Ich wäre sehr verblüfft gewesen, wenn auf diese Nominierung niemand reagiert hätte. Die Kritik daran hat sich doch sehr im Rahmen gehalten, da muss man der wackeren Süddeutschen Zeitung direkt dankbar sein. „Big Brother“ ist eine Produktion, die man ebenso aufregend und schrill wie enervierend und degoutant finden kann. Ich verweise aber gern darauf, dass es hier um TV- Unterhaltung, um Entertainment geht, die mit den ihr gemäßen Kriterien bewertet werden muss. Das ist eine von zwanzig Kategorien des Deutschen Fernsehpreises, nicht mehr und nicht weniger.
Also könnten Sie sich vorstellen, den Job von Josef Andorfer zu machen, RTL 2- Geschäftsführer?
Herr Andorfer vertritt seinen Sender und dessen Programm mit großer Hingabe. Er ist der Larry Flint des deutschen Fernsehens. Man sollte ihn zum Geschäftsführer von RTL 2 auf Lebenszeit ernennen. Ein Tausch käme also schon deshalb nicht in Frage.
Das deutsche Fernsehen darf demnach auch vor allem Spaß machen?
Nicht jeder Verstoß gegen den guten Geschmack ist eine Kulturrevolution, aber angesichts einer weitgehend sedierten Gesellschaft sollten die Fernsehprogramme schon hier und da provozieren und verwirren. Im Rahmen der geltenden Gesetze und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung natürlich.
INTERVIEW: STEFFEN GRIMBERG
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