piwik no script img

Pathologisches Ego

■ Einar Schleefs Nietzsche-Show

„Und so erzähle ich mir mein Leben“, heißt es da zu Beginn von Ecce homo, der Schrift, die Friedrich Nietzsche kurz vor der Verabschiedung in die geistige Umnachtung im Januar 1889 niederschrieb. Eine vom pathologisch übersteigerten Ich zeugende Selbstbiografie ist es, abgehandelt in meisterhaft formulierten, verrätselten Aphorismen. Umso mehr gibt sie Gelegenheit zu ausladenden Wortspielen und neuem Pathos des Geistes.

Das reizte auch den Regisseur Einar Schleef, ruhmreich durch Inszenierungen wie Oscar Wildes Salome in Düsseldorf oder Elfriede Jelineks Sportstück an der Wiener Burg. Die krankhafte Überhöhung einer Ich-zentrierten Persönlichkeit und ihre fatalen Auswirkungen auf die Geschichte treiben den Theatermacher Schleef seit vielen Jahren um. Und so zeigt er in seinem als „Lesung“ angekündigten Programm Nietzsche – Ecce homo – Schleef in einem Gastspiel im Thalia-Theaters seine Lesart des bis heute ob seiner Widersprüchlichkeit das Denken anregenden Philosophen.

Schon in seinem Essay Droge Faust Parsifal sprach Schleef von Nietzsches rhetorischer Qualität, die sich nur im „Lautlesen“ offenbare, „da für Nietzsche die laut gesprochene Formulierung und Verfolgbarkeit eines geordneten Denkvorgangs eng beieinanderliegen.“ Eine brave Rezitation ist da wohl nicht zu erwarten. Vielmehr legt Schleef die ausladende und musikalisch-rethorisch genau strukturierte Sprache Nietzsches frei.

Ecce homo schrieb Nietzsche, als er sein großes Projekt einer sys-tematischen Philosophie endgültig begrub. Eine Entscheidung, die für ihn Erleichterung und Niederlage zugleich bedeutete. Letztere begrub er jedoch unter der ekstatischen Beschreibung seiner selbst. Hinter Überschriften wie „Warum ich so weise bin“ greift er seine Feinde an, den Idealismus, den His-torismus, die Bildungsbürger, die Massenkultur, das Mitleid, Richard Wagner und die Moral. Nach dem Wegfall aller Inhalte und aller Werte gilt das Ästhetische ihm als einzige metaphysische Tätigkeit, die dem Menschen noch bleibt.

Schleef macht daraus eine One-Man-Show, die Nietzsches verlo-ckender Sprachkunst und seiner Persönlichkeit Bühnenpräsenz gibt. Manchmal sanft und voller Charme, dann wieder wild und mitreißend. Aber immer verführerisch. Annette Stiekele

10.10., 21 Uhr, Thalia-Theater

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen