: Lebenshilfe mit integriertem Büchertisch
Manche sind böse, andere lieb und im Wesentlichen ist alles möglich. So machte Hera Lind am Samstag viele glücklich
Bei Amazon.de hat es Hera Linds neustes Buch in der Leserwertung gerade mal auf zweieinhalb Punkte geschafft – was nicht grundsätzlich an ihren schriftstellerischen Qualitäten liegt, denn ein anderes Buch von ihr hat dort schon die höchste Punktzahl geschossen. Ob es daran liegt, dass die Protagonistin in „Mord an Bord“ erstmal in ein richtiges Arschloch verliebt ist und dass das zusammen mit der großen Kehrtwende in ihrem eigenen Leben für zu viel Irritation sorgt?
Die derzeit medial ausgewalzte Kritik an ihrer Person trübt allerdings Hera Linds Vertrauen in ihre Fans nicht. Und das zu Recht, wie sich zeigt. Das Kulturhaus Spandau ist voll an diesem Samstagabend, obwohl draußen vor der Tür der hässliche Herbst tobt. Dafür ist es drinnen umso heimeliger. Die autobiographischen Anspielungen, die Frau Lind zwischen ihren Lese- und Gesangseinlagen zum Besten gibt, werden wohlwollend und wohlwissend beschmunzelt.
Alle Anwesenden sind bestens aufgeklärt darüber, welches ihrer vier Kinder gerade Pubertätsallüren pflegt. Und auch dass Hera Lind in ihrem früheren Leben als Sängerin Herlind Wartenberg hieß, überrascht hier niemand. Darüber, dass nun endlich die echte Liebe in Form von Engelbert Lainer in ihr Leben getreten ist, muss man sowieso kaum noch reden. Niemand ist neidisch auf so ein gelungenes Leben, denn die Autorin verkörpert: „Alles ist möglich.“
Als Belohnung für so viel Loyalität gibt’s in der Pause Sekt, und den kündigt Hera Lind so mütterlich-fürsorglich an, dass man fast glaubt, sie würde ihn selber einschenken. Da sind die vorgelesenen Passagen aus „Mord an Bord“ und die von Karstadt Spandau aufgebauten Präsentationstische fast schon eine unangenehme Erinnerung daran, dass hier ein Buch beworben und nicht Lebenshilfe gewährt wird.
Trotzdem: Ein bisschen was für sich selber rausziehen kann jeder. Nicht nur Hera Linds Altersgenossinnen samt mitgeschleppten Ehemännern, die auch schon mal beim Elternabend waren und wissen, wie schrecklich es da ist. Sondern auch 16-jährige Mädels mit grünen Haaren, die ein Autogramm auf ihr Wise-Guys-T-Shirt wollen. Aber gerne doch, denn auch Hera Lind hat sich schon auf der Homepage der Wise Guys als Fan verewigt. Darüber muss man sich aber nicht wundern, denn alles ist möglich und das Leben voller Überraschungen. Nur schade, dass das Hauscafé „Unverschämt“ vom Kulturhaus Spandau seinem Namen alle Ehre macht und man einfach so hinausgeworfen wird in die Nacht. STEPHANIE GRIMM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen