: Das erste Kreuz
AKW Stade: Alle wollens gewesen sein. Auch Senat steigt in Ausstieg ein. Bürgermeister Runde empfiehlt A3XX als Alternative ■ Von Sven-Michael Veit
Als ob jemand daran gezweifelt hätte: „Der Senat hält Wort“, verkündete Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) gestern vor der Landespressekonferenz im Rathaus. Mit der vorzeitigen Stilllegung des AKW Stade werde „ein wesentliches Ziel der rot-grünen Regierung in Hamburg“ erreicht. „Ausschlaggebend“ dafür sei, so Runde, „auch ökonomischer Druck, vor allem aber politischer Wille.“ Niedersachsens Umweltminister Wolfgang Jüttner (SPD) sieht das genau andersrum. Nicht der Berliner Atomkompromiss habe den Ausschlag für die Stilllegung gegeben, „sondern ausschließlich wirtschaftliche Gründe“ der Betreiber E.ON und HEW.
Vor drei Jahren hatten SPD und GAL im Hamburger Koalitionsvertrag ihr Bestreben formuliert, „bis 2002/2003 Kernkraftwerkskapazitäten stillzulegen“. Und jetzt, so auch der grüne Umweltsenator Alexander Porschke strahlend, werde der Wunsch zur Realität: „Heute ist ein guter Tag, auf den ich lange gewartet habe“. Jede „reale Stilllegung“ sei ein Schritt hin zu „größerer Sicherheit für die Bevölkerung“, wenn auch nur ein erster: „Von mir aus dürfen es schnell gerne mehr werden.“
Die rot-grüne Hochstimmung vermag auch die Tatsache nicht zu trüben, dass die HEW Produktionskapazitäten vom AKW Stade auf die Meiler Brokdorf und Krümmel übertragen und somit deren Betriebszeit verlängern werden. „Nach meiner Interpretation“, so des Bürgermeisters Auslegung des Koalitionsvertrags, „wird ein Kernkraftwerk vom Netz genommen, und darauf bin ich stolz.“
Das gleiche behaupteten gestern auffällig viele Leute von sich. Einen „Erfolg rot-grüner Energiepolitik in Hamburg“ feierte SPD-Umweltexpertin Renate Vogel, ihr grünes Pendant Axel Bühler ließ zunächst „die Sektkorken knallen“ und verkündete dann freudetrunken: „Stade ist erst der Anfang.“ Nach Meinung von GAL-Parteichefin Antje Radcke zeige die Konzern-Entscheidung, „dass das gesellschaftliche Klima für Atomanlagen zunehmend unkomfortabel geworden ist“.
Der „Einstieg in den Ausstieg“ werde Folgen haben für die Reaktoren Brunsbüttel, Brokdorf und Krümmel, prognostizierte Schleswig-Holsteins Energieminister Claus Möller (SPD). Er halte es „für fraglich“, ob diese die rechnerischen Restbetriebszeiten von acht bis 20 Jahren „überhaupt ausnutzen“ würden.
Zu mäkeln hatten gestern nur die Energieexperten von Greenpeace und Regenbogen. Beide finden den Ausstieg aus Stade gut, das Datum 2003 aber nicht. Die „tickende Zeitbombe“ müsse sofort abgeschaltet werden, forderte Lutz Jobs vom Regenbogen, und Veit Bürger von Greenpeace kritisierte die Dreijahres-Frist als „unnötig und gefährlich“.
Bürgermeister Runde kann das sicher nicht die Laune verhageln, zumal er um die Arbeitsplätze der Kraftwerks-MitarbeiterInnen keine Sorgen hat. Das seien durchweg „hochqualifizierte Menschen, die nicht arbeitslos werden“, glaubt er. Viele würden für den Rückbau des Meilers gebraucht, und für die anderen gebe es eine prima Alternative: Bei der Teilmontage des A3XX im Airbus-Werk Finkenwerder.
Tagesthema S. 3, Report S. 22
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