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Die neue Vorgabe heißt „Unabhängigkeit“

Ein wenig merkwürdig ist es schon, wenn die Milošević-treuen Medien jetzt verkünden, ab sofort „regierungsfern“ zu berichten

BERLIN taz ■ Die serbischen Medien sind von ihren Maulkörben und Milošević-treuen Chefredakteuren befreit. Einer ist ganz besonders befreit: Miroslav Filipović wurde ohne langes Hin und Her auf persönliche Weisung von Präsident Vojislav Koštunica aus der Haft entlassen. Der Oberste Militärgerichtshof erklärte seinen Prozess für ungültig. Es wird zu einem neuen Prozess kommen, bei dem der serbische Journalist freigesprochen werden muss, denn die Vorwürfe der Spionage sind angesichts der jüngsten Entwicklungen in Serbien nicht mehr zu halten.

Filipović hatte in ausländischen Medien über die Beteiligung der Jugoslawischen Armee an Gräueltaten im Kosovo berichtet. Dass der Jurist Koštunica ihn als Geste des guten Willens als ersten politischen Gefangenen wieder auf freien Fuß setzen ließ, ist als Bekenntnis ohne Wenn und Aber zu einer freien und unbequemen Presse zu werten.

Die unabhängige Presse Serbiens stand trotz Kritik an den parteipolitischen Querelen der Opposition hinter den vereinigten demokratischen Kräften (DOS). Dabei musste sie sich ihre Unabhängigkeit in den letzten Monaten im Kampf gegen Repressalien des Milošević-Regimes immer wieder neu ertrotzen.

Viele Sender und Zeitungen kostete das fast die Existenz. Zahllose Journalisten setzten ihre persönliche Existenz aufs Spiel und kündigten ihren Posten beim staatlichen Rundfunk, weil sie nicht Sprachrohr der Diktatur sein wollten. Sie sind nun zurückgekehrt in ihre Redaktionen – und mancher Milošević-treue Chefredakteur hat sich seither einfach nicht mehr blicken lassen.

Die ganze Welt schaute zu, als eine wütende Menge am 5. Oktober den Chefredakteur des staatlichen Fernsehens RTS krankenhausreif prügelte. Der Sender selbst war nur für wenige Stunden außer Betrieb. Die nächste Sendung war ein Interview mit Vojislav Koštunica, dem neuen Präsidenten.

Wie überall werden sich die meisten Journalisten auch den neuen Verhältnissen mühelos anpassen. Aber selbst wenn sie nur Zeugnisse des menschlichen Opportunismus sind, die vielen plötzlichen Bekenntnisse zur freien Presse sind ernst zu nehmen.

Die alte jugoslawische Nachrichtenagentur Tanjug, seit Jahrzehnten stramm auf Linie, verspricht eine unabhängige und „korrekte“ Berichterstattung. Doch diese neue Linie gilt es jetzt erst einmal zu ziehen.

Ein wenig merkwürdig ist es schon, wenn die Milošević-treuen Medien jetzt verkünden, ab sofort „regierungsfern“ zu berichten. Denn von der neuen Regierung waren sie ja noch nie abhängig gewesen. Und wer die neue Bundesregierung unter Koštunica kritisiert, spielt natürlich auch wieder den alten Kräften, die noch vorhanden sind, in die Hände.

So wird in den nächsten Tagen und Wochen noch hier und da gepokert werden. Wichtig ist, die politischen Entwicklungen unumkehrbar zu machen, dann hat auch die Presse eine reale Chance, sich dauerhaft zu einer unabhängigen Kontrollmacht zu entwickeln.

Es existiert ein großes Kontingent an unabhängigen, ihrem Berufsethos verpflichteten Journalisten in Serbien, auf die nun zurückgegriffen werden kann. Vakante Chefredaktionsposten können mühelos besetzt werden. Und es gibt, wie die Studentenbewegung Otpor gezeigt hat, tatkräftige junge Serben, die die momentane Aufbruchstimmung weitertragen werden.

Slobodan Milošević sagte dem Dokumentarfilmer Marcel Ophuls im Jahre 1994 in einem Interview, dass die serbische Presse die freieste in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens sei. Diese Behauptung müssen die Medien jetzt selbst einlösen, denn der schlimmste Feind der Pressefreiheit ist die Selbstzensur. ANNETTE JANDER

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