piwik no script img

WG mit San Andrés

■ Die neue Direktorin des Instituto Cervantes ist eine Grenzgängerin zwischen den Kulturen / Mit ihrer Arbeit will sie alle erreichen, am liebsten auch die Randgruppen

„Ich hatte schon ein wenig Höhenangst“, sagt Susana Zapke Rodríguez aus dem hintersten Winkel ihres voluminösen Ledersofas über das schwierige Erbe, das sie angetreten hat. „Grenzenlos“ bewundert sie ihren allseits beliebten Vorgänger Manuel Fontán del Junco, den die spanische Kultusministerin sich als Kabinettschef geangelt hat – aber sie hat dennoch beschlossen, sich nicht zu sehr beeindrucken zu lassen. Schließlich habe es sein Gutes, dass die Direktion des Instituto Cervantes spätestens alle fünf Jahre wechselt – so kommen immer neue Impulse.

„Die Neue“ ist von Hause aus Musikwissenschaftlerin. Natürlich wird sich das im Programm widerspiegeln. Aber Zapke Rodríguez will nicht einfach spanische Musik nach Bremen holen, sondern Dialog ermöglichen – zum Beispiel mit Begegnungen von zeitgenössischen Musikern aus beiden Ländern. Kein Zufall, ist sie doch selbst eine Grenzgängerin zwischen den Kulturen. „Ich bin kulturell total untreu, kann mich für alles begeistern“, sagt sie. Ihr Vater ließ die Trümmer von Nachkriegs-Deutschland für einen Job in Spanien hinter sich. Viele aus der mütterlichen Familie mussten als überzeugte Republikaner vor Francos Schergen nach Frankreich fliehen.

Sie wuchs im mondänen Badeort San Sebastián auf, aber ihre Lieblingsstadt ist das lärmig-pulsierende Madrid. Dennoch war immer klar: Studieren wollte sie in Deutschland – für sie damals das „Land der Wissenschaft“. Und so kam es auch: Magistra in Freiburg, Promotion in Hamburg über mittelalterliche Musik. „Ich wollte unbedingt Professorin in Deutschland werden“ – aber dann kam die große Krise. Nicht etwa eine Schaffenskrise: Die Habilitation in Köln hatte sie mit 33 Jahren fast fertig. Ihr wurde nur bewusst, dass sie einfach zu schnell war.

„In Deutschland sind Professoren alte Männer“ – jetzt beginnen ihre ruhigen braunen Augen auch nach einem Zwölf-Stunden-Tag noch zu funkeln, sie rutscht nach vorn auf die Sofakante. „Die deutsche Universität ist ein hermetisches System“, besonders für Frauen sei sie immer noch weitgehend „impermeabel“. Oft hat sich die zierliche Frau „wenigstens einen dicken Arsch“ gewünscht, um für ihre Leistung akzeptiert zu werden. Als sie eine Gastprofessur an der Universität Salamanca bekam, verlieh sie ihrem sanften Gesicht mit einer Fensterglas-Brille die nötige Strenge.

In Deutschland dagegen, so wurde ihr klar, hätte sie vor einer Professur zehn Jahre in einer akademischen Warteschleife verbringen müssen – nach der Habilitation, die sie „via crucis“ nennt und am liebsten abgeschafft wüsste. Da kam das überraschende Angebot des Insituto Cervantes, das die 34-Jährige als jüngste Direktorin holte. Ohne lange zu überlegen, akzeptierte sie. Die Habilitation muss jetzt erstmal warten. „Ich bin sehr spontan, so ein bisschen Kamikaze-Typ. Vielleicht ist das das typisch spanische an mir“, sagt sie. Über die Rente hat sie sich noch nie Gedanken gemacht. Und als die Schwiegereltern ihr noch im Wochenbett eine Sterbeversicherung zugunsten ihres Sohnes schenkten, fand sie das regelrecht obszön: „Wie kann man in einer Stunde des Lebens an so etwas denken?“ fragt sie, immer noch empört.

Das Leben hat es Susana Zapke in der Tat noch mehr angetan als das Vergangene, als jede verstaubte Partitur aus dem elften Jahrhundert. Energisch warnt sie davor, Kultur mit einem „nonlukrativen Luxus der Elite“ zu verwechseln. Sie will in Bremen das ganze Spektrum von Spanien präsentieren, das „große Kaleidoskop“. Dazu gehört auch die Alltagskultur, bis hin zur Küche. „Spaniens Image leidet unter archetypischen Bildern, dabei ist es eines der dynamischsten Länder in Europa“, sagt sie, pötzlich ganz Marketing-Frau. „Vielleicht können wir es als jungen Toro zeigen, der in die Arena stürmt“, benutzt sie ganz bewusst das Spanien-Klischee par excellence.

Das Insituto Cervantes setzt unter ihrer Leitung ganz auf Kooperation: Immer weniger soll es als alleiniger Veranstalter auftreten, immer mehr die Kooperation mit anderen Trägern suchen, wie im Moment mit der Weserburg, dem Theater oder der Villa Ichon. Aber der große Raum der neuen Chefin ist es, diese kulturellen Schutzräume zu verlassen: Kultur für alle will sie organisieren, am liebsten die überall in der Stadt präsenten Randgruppen einbeziehen. Dass das eine gemeinsame Anstrengung aller Kulturschaffenden in der Stadt erfordert, ist ihr klar. „Aber wo sonst soll das gehen, wenn nicht hier?“ Die extreme Offenheit, die sie in Bremen empfindet, schreibt sie dem hanseatischen Erbe zu. „Der Hanseat saugt das Fremde förmlich in sich auf.“

Dass ihre Zeit in Bremen auf maximal fünf Jahre beschränkt ist, stört die Kosmopolitin nicht. „Ich würde an jedes andere Instituto Cervantes gehen – Moskau, Amman, Casablanca ...“ – sie atmet ein, als spüre sie den Duft der weiten Welt. Zuhause wird sie sich ohnehin fühlen, nimmt sie doch ihre eigene Ordnung mit. Den großzügigen Salon ihres Schwachauser Hauses hat sie mit Biedermeier-Möbeln sparsam aber perfekt eingerichtet. „Alles von meiner Mutter“, sagt sie fast entschuldigend. Ihr Eigenes, das ist eine Sammlung geliebter Kleinigkeiten: Ein Jesuskind, 200 Jahre alt, mit beweglichen Ärmchen. Eine Märtyrerin vom Flohmarkt. Ein Stück Knochen von San Andrés. Ein venezianisches Buch mit illustrierten Geschichten des Apostels Paulus von 1720 – „ein Comic aus dem 18. Jahrhundert“. Ja, sie ist gläubig. „Ich glaube an eine ... Ordnung.“ Ihre ausladende Geste zeigt, dass die über Allem steht. Jan Kahlcke

Heute Abend (19.30) moderiert Susana Zapke Rodríguez in der Villa Ichon eine Diskussion über „Kunst und politische Verantwortung? Oder wie der Geschichte der Prozess gemacht werden kann“ im Rahmen der Ausstellung „Testigos Invisibles“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen