: Aufhorchen mit „AA-GA“
■ Das hat mal Niveau: In den ersten Tagen der „NachtTräume ZeitRäume“ zeigte die Hochschule für Künste, dass sie sich hinter keiner anderen Hochschule verstecken muss. Heute gehts zu Ende
Dieses Unternehmen wäre vor fünf Jahren noch nicht möglich gewesen: Der Bremer Dom öffnet eine Woche lang seine Pforten und lässt die Hochschule für Künste hinein. Und nicht etwa mit braven Produktionen, die verschämt in eine Kirche zu passen scheinen, sondern mit allem, was zeitgenössische Kunst heute zwischen Video, Elektronik und herkömmlichen Techniken bietet. Das Projekt ist in Bremen außerordentlich gut angekommen und angenommen: Vier bis fünf Veranstaltungen pro Tag sind mehr als gut besucht. Es gibt Führungen – täglich um 15 Uhr – Konzerte, Vorträge, Lesungen. Die Veränderung des Dom-Inneren mit Malerei- und Videoprojekten erzeugt eine Atmosphäre der Offenheit und Reflexion, in der sich die InterpretInnen und KomponistInnen regelrecht lustvoll ausbreiten konnten. Was sie in bisher fünf Konzerten, von denen hier die Rede sein soll, auch taten.
Die maßgeblichen ProfessorInnen für die Konzerte waren die Komponistin Younghi-Pagh-Paan und der Organist Hans-Ola Ericsson. Am Eröffnungsabend wurden Werke von Pagh-Paan von StudentInnen gespielt: auf einem Niveau, das sich vor keiner anderen Hochschule mehr zu verstecken braucht. Der Cellist Peter Albrecht ist da zu nennen, dessen bemerkenswert einfühlsame Wiedergabe von „AA-GA“ aufhorchen ließ. Aber auch die Geigerin Namjeong Kim, Die Bratscherin Dahlia Shehata überzeugten voll mit Pagh-Paans erstem, 1977 in Deutschland entstandenen autobiographischen Stück „Man-Nam“. Und die Gäste Katharina Rikus (Gesang) und Erik Drescher (Flöte) zeigten klangschöne Erfahrung mit dem Modulieren der Einzeltöne im empfindlichen Werk der Koreanerin.
Nachdem Domorganist Wolfgang Baumgratz die HörerInnen mit romantischer Orgelmusik zur Nacht verwöhnt hatte, schritten die jungen Komponisten sehr viel kraftvoller zur Sache. Es ging ja da nicht um irgendwelche Stücke allein, sondern um den Umgang mit dem Raum, um die Ideen zu seiner Erfassung. Erwin Koch-Raphael hatte mit „Drei Aquarellen“ für die Bachorgel ein fragiles Gebilde geschaffen, hervorragend gespielt von Markus Manderscheidt. Der Sauerorgel mit ihrer elektrischen Traktur nahm sich Andreas Gürsching an, dessen „Eingriff und Wiederholung, schwebender Prozess für Orgel“ den Versuch unternimmt, Eingriffe, ja Manipulationen der Registranten zum Thema zu machen. Neue akustische Erfahrungen, zum Teil auch Erlebnisse konnten die HörerInnen mit akustisch gespielter Kammermusik machen: so das ornamental-farbige „por amor“ für Harfe und Cello der Koreanerin Jin-Ah Ahn. Oder „Anin“ für kleines Ensemble von Samir Odeh, dessen palästinensisch-israelischer Heimathintergrund das Stück in ergreifender Weise prägt. Die intensive Dichte dieser lang gezogenen Klage hallt in ihrer betörenden Klanglichkeit lange nach.
Joachim Heintz' „Erzählung für Orgel und Tonband“ war für die Kirche in Dedesdorf geschrieben und im Mai dieses Jahres dort uraufgeführt wurde. Bei der Übertragung in den Dom achtete Heintz vor allem auf Durchhörbarkeit, manches wirkte fast zu zurückhaltend transparent. Schön gestaltet war der Kontrast sozusagen traditioneller Orgelklänge mit „Störungen“, weniger überzeugend die recht beliebig wirkenden Videos. Die Komposition von Heintz ist wie die von Christoph Ogiermann und Uwe Rasch auf eine Initiative des Orgelprofessors Hans Ola Ericsson zurückzuführen, der – selber Komponist – weit mehr tut als nur angehende KirchenmusikerInnen zu unterrichten. Alle drei Ergebnisse sind höchst individuell und originell. Uwe Raschs „Adieu den Adieus“ weist den bremischen Komponisten einmal mehr als skurrilen Musiktheatraliker aus: Eine Rhönradfahrerin umkreist die Zuschauer und transportiert auf ihrem Gerät einen Text des polnischen Malers Roman Opalka. Die auf einem Postwagen gespielte Hammondorgelpartie kommt und verschwindet, kommt wieder und verschwindet erneut. Aus den Keulenspitzen einer Keulenschwingerin erreichen uns seltsame Hochtöne. Alles will irgendwie zusammenkommen und kommt doch nicht: eine spannende Wahrnehmungsstudie.
Voll den Raum genutzt hat Christoph Ogiermann mit „Draußen ist feindlich“ für Orgel, drei Blockflötenspieler – Eva Kuen, Karin Silldorff und Kerstin de Witt – und diverse Technik. Ogiermanns soghafte Klanglichkeit, deren ungemein direktes Anspringen des Hörers, die wirbelnde Stringenz des Verlaufs zeigten auf überzeugendste Weise, dass Klangsinnlichkeit und innovatives Komponieren kein Widerspruch sind. Die OrganistInnen Karin Gastell und Pascal Caldara spielten noch andere Partien als nur die Orgel und seien hier stellvertretend genannt für ein hochgespanntes gegenseitiges Kooperationsnetz.
Ein bisschen blass blieb der Auftritt eines „Improvisationsensembles an der Hochschule für Künste“, deren Konzert mit Werken von Leon Schidlowsky, Mauricio Kagel, Frederic Rzewski, Andreas Gürsching und Uwe Rasch den dramaturgischen Endschliff in Bezug auf Raumverteilung und Klanglichkeit vermissen ließ. Auch hätte der Auftritt des Kinderimprovisationsensembles der Musikschule Hefata anders auf- und eingebaut werden müssen. Am besten gelang hier Uwe Raschs „walk,man“, das der Komponist 1997 für das Responsprojekt der Deutschen Kammerphilharmonie geschrieben hat.
Idee und Gesamtniveau dieses Projektes setzen Maßstäbe und sind neben allen Musical- und Spacepark-Spinnereien viel mehr als ein Hochschulprojekt.
Ute Schalz-Laurenze
„NachtTräume ZeitRäume“ im Dom geht heute zu Ende. Um 15 Uhr führt Peter Rautmann noch einmal durch die Ausstellung. Um 19 Uhr beginnt das Schlussprogramm mit einer Performance von Eduardo Raccah in der Hochschule für Künste, Dechanastraße 13-15. Ab 20 Uhr geht es dann im Dom weiter mit einem Konzert von und mit Hans-Ola Ericsson, einem Vortrag von Sabine Maria Schmidt über Transzendenz und religiöse Erfahrung in der Science Fiction (21 Uhr), einem Videokonzert (22.30 Uhr) und einem gemeinsamen Mitternachtsmahl.
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