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Satelliten-TV mit Tschador

Reisen in den Iran? Unbedingt. Wegen der kulturellen und kulinarischen Vielfalt und weil der Tourismus allemal eine Öffnung des Landes bewirkt. Wer sich einlassen will, findet offene Türen

von THOMAS DREGER

Vor der Einfahrt zu dem Fünf-Sterne-Hotel muss der Bus eine Biege machen. „Das ist das Evin-Gefängnis“, erklärt Tour-Guide Resa unbekümmert. „Das ist für Politiker. Politiker lassen hier einsperren und Politiker sitzen drin.“ Willkommen zum Bildungsurlaub in der Islamischen Republik.

Am nächsten Morgen. In der Lobby des Asadi (Freiheit) getauften Hotels dudelt ein Endlosband die Melodie von „Griechischer Wein“. Dabei ist der gesamte Staat qua Verfassung abstinent. Aus dem Fahrstuhl steigt ein beschlipster Geschäftsmann. „American Cigarettes!“, ruft ihm einer der rot livrierten Angestellten zu und hält ihm eine Packung Marlboro Lights entgegen, die es hier offiziell gar nicht gibt. „Yeah, the best cigarettes you can get“, lautet die Antwort mit breitem amerikanischem Akzent, den es hier eigentlich auch nicht geben sollte. Schließlich befinden sich die USA und Iran irgendwie im kalten Kriegszustand.

Reisen im Iran des Jahres 2000, also 21 Jahre nach der Islamischen Revolution: Das Land weiß noch nicht so richtig, wie es mit den Gästen umgehen soll, und diese wissen nicht so richtig, wie sie sich verhalten sollen. Und über allem schwebt die Frage: Soll man, kann man, darf man in einem Staat, dessen Menschenrechtsbilanz alljährlich in der Gruselstatistik von amnesty international auftaucht, überhaupt herumreisen?

Die freie Reisejournalistin in unserer Gruppe will herausfinden, wie streng die Bekleidungsvorschriften des real existierenden Gottesstaates bei Touristinnen angewendet werden – im Selbstversuch. Im Hotel tritt sie in engen schwarzen Hosen, knappem rotem Blazer, aber mit Kopftuch auf. Das sorgt für Blicke, aber das Personal und die Security bleiben cool. Doch in der den Schiiten heiligen Stadt und Mullahhochburg Qom bringt ihr dieses Outfit – obwohl etwas abgemildert – Probleme. Als sie mit knallrot geschminkten Lippen und im weißen Kittel an der Fatima-Moschee vorbeiflaniert, bugsieren sie drei mit Maschinenpistolen bewaffnete Sicherheitsbeamte erst einmal in ihren Wagen und wollen wissen, ob sie Iranerin sei. Nach Vorlage des deutschen Passes kommt sie zwar umgehend, jedoch etwas blasser als zuvor wieder frei. „Iranerinnen haben mir gesagt, meine Kleidung sei für hier ganz in Ordnung. Sie würden sich selbst so anziehen“, erklärt die Kollegin ihre Aktion, ignorierend, dass die iranische Gastfreundschaft es schlichtweg verbietet, einem Besucher auch nur anzudeuten, er sei unpassend gekleidet. Außerdem wolle sie ihren „Leserinnen vermitteln, dass sie vor den hiesigen Bekleidungsvorschriften keine Angst zu haben brauchen und sich ruhig etwas legerer kleiden dürfen“. Guide Resa schwitzt um seine Lizenz. Dabei ist Qom keine Festung der Fundamentalisten. Im Gegenteil: An wenigen Orten wird so offen über islamische Theologie diskutiert wie an den hiesigen Medressen und dabei sogar der islamische Staat in Frage gestellt. Einigen prominentenVertretern dieser Anti-Chomeini-Linie brachte dies jahrelangen Hausarrest ein. Offiziell ist Nicht-Muslimen der Zugang zum Fatima-Schrein verboten. Doch wer sich an die islamischen Regeln hält, wird zumeist toleriert. Für Frauen bedeutet das zuerst Tschador, das Tragen des schwarzen Ganzkörpergewandes, für Männer einen ernsten, aber freundlichen Blick, gepaart mit Verbeugung und rechter Hand auf dem Herz, barfuß natürlich.

Iran ist ein orientalisches und damit langsames Land. Hektik tritt nur im Straßenverkehr und im Krieg auf. Touristen werden dagegen, sollten sie als organisierte Gruppe auftreten, hastig durch das Land gescheucht. Innerhalb von 15 Minuten werden sie mit den letzten 10 Jahrhunderten persischer Architektur konfrontiert. Iranische Lebensart ist so schwerlich zu erheischen. Kontakte zu Einheimischen ebenso. „Rein in die Moschee, raus aus der Moschee, rein in den Bus“, scheint das Motto der Reiseveranstalter zu heißen. Kontakte zur Bevölkerung seien „als Gruppe schwer herzustellen“, meint Andrea Diefenbach, deutsche Reiseleiterin im Dienst des iranischen Tourismusunternehmens AIT, und räumt ein: „Die sind von iranischer Seite auch nicht recht erwünscht.“

Noch immer haben die iranischen Machthaber Angst vor der Invasion aus dem Westen. Viele, vor allem junge IranerInnen, sehen das freilich anders. Sie suchen den Kontakt zu Ausländern. Wer die wenigen freien Stunden einer Pauschalreise in die Islamische Republik zum „Freigang“ nutzt, wird dies erfahren, wer die hermetische Abriegelung zwischen Bus, Flieger und Hotel einhält, nicht.

„Der Tourismus in Iran verläuft in Wellen“, erklärt Diefenbach. „Mal ist die Kurve hoch, und dann kommt ein Fall Mykonos oder Hofer und alles ist wieder vorbei.“ Angesichts solcher Unwägbarkeiten trauen sich nur wenige aus- und inländische Unternehmen, in den Tourismus zu investieren. Dabei wären Investitionen dringend nötig. Trotz historischer und landschaftlicher Schönheiten bieten viele Hotels zwar angemessenen Komfort, atmen aber den Charme der vorrevolutionären 70er-Jahre. Aber Plastikschalensitze werden ja hierzulande gerade wieder schick.

Die von deutschen Reiseveranstaltern angebotenen Iran-Trips sollen die schönen Seiten des Landes vermitteln. In Teheran sieht man die eroberten Luxuspaläste und Gärten des Schahs, aber nicht die verarmten südliche Vororte, aus denen sich einst die Kohorten Chomeinis rekrutierten. Dann geht es in die Vorzeigestadt Isfahan und in das von Alexander dem Großen zerstörten Persepolis, heute Schiras. Die Islamische Republik hat viele Seiten. Die permanenten Menschenrechtsverletzungen und der Machtkampf zwischen Konservativen und Performern im abgasumnebelten Teheran sind nur einige Facetten der Realität.

Wer in die Islamische Republik reist, kommt dennoch um Politik nicht herum. „Die Amerikaner haben den Schah aufgerüstet, Chomeini hat ihn gestürzt. Deswegen sind die USA unser Feind“, referiert schon der iranische Guide im Bus. Es folgt ein Vortrag über die Scharia, das islamische Recht. „In Saudi-Arabien ist alles viel schlimmer, glauben Sie mir“, referiert er recht unbekümmert. Zwar gebe es in Iran weiterhin Hinrichtungen und Auspeitschungen, aber das sei halt „Gottes Wille“ und folglich gerecht. Steinigungen habe es schon seit Jahren nicht mehr gegeben. Dass der deutsche Geschäftsmann Helmut Hofer diesem Schicksal erst im vergangenen Jahr um Haaresbreite entronnen ist, kommt ihm nicht in den Sinn.

Der iranischen Gastfreundschaft kann sich kein Besucher restlos entziehen, auch nicht auf dem Basar. Aus einem Verkaufsgespräch wird schnell ein allgemeines. Je mehr man sich von den ausgetretenen Touristenrouten und der Gruppe entfernt, desto leichter kommt man ins Gespräch. „Mein Bruder lebt in Los Angeles“, erfährt man beim Einzelbesuch im Teehaus zwischen händchenhaltenden Pärchen und Frauen, die selbstbewusst die Wasserpfeife rauchen. Andere erzählen einem unaufgefordert ganze Familiengeschichten. Pech, wer einen Tour-Guide hat, der einen vor lauter Fürsorge nicht alleine lassen will. Dahinter verbirgt sich häufig echte Sorge. Herumstreunende Sicherheitskräfte nutzen Touristen noch immer gerne als Quelle, um sich das eigene Salär aufzubessern. Gerne werden „Delikte“ erfunden, um die ob der unbekannten Verhältnisse unsicheren Gäste um einige Devisen zu erleichtern.

Soll man, kann man also in die Islamische Republik reisen? Unbedingt. 21 Jahre nach dem Sturz des Schahs sehnen sich viele IranerInnen geradezu nach Kontakt zu westlichen Ausländern. Der Staatsapparat hinkt da hinterher. Wer Zeit hat, besorgt sich einfach ein Visum und einen guten Reiseführer, wer bequem in der Gruppe reisen will, hat genügend Auswahl.

Wer Glück hat, wird in einen iranischen Haushalt eingeladen. Dort landet dann der Tschador der Frauen meist irgendwo in der Ecke, und vom Bildschirm flimmert irgendeine türkische Bauchtanzperfomance. „Schau mal, das ist unsere Satellitenantenne. Sie trägt einen Tschador“, erklärt grinsend das Familienoberhaupt. Die Schüssel ist nordürftig mit einem Tuch verdeckt, was etwa so viel Tarnungswert hat, wie einen Panzer mit einem Bettlaken abzudecken. Aber die Behörden drücken derzeit die Augen zu. Ohnehin steht das einst mit nur einer Stimme Mehrheit vom Parlament verabschiedete Verbot von Satelliten-TV auf der Kippe.

Und dann kommt man in einen Genuss, den man praktisch nur in privaten Haushalten erleben kann: den der iranischen Küche. Straßenrestaurants beschränken ihr Angebot zumeist auf Kebabvariationen, und die großen Hotels bieten gerne schlechte Kopien westlicher Küche. Doch wer privat eingeladen wird, bekommt den ganzen Reichtum von Fleisch, Gemüse und Gewürzen zu schmecken. Und wer dann noch bei einem Armenier gelandet ist – oder einem Muslim mit guten Kontakten –, kommt um Wein nicht herum. Doch Achtung: Der stammt nicht aus Griechenland, sondern wurde in Heimarbeit hergestellt, und wer sich erwischen lässt, muss zahlen, sonst kann er gar im Evin-Gefängnis landen, auch wenn er kein Politiker ist.

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