: Leben dank HipHop
Der aus Polen stammende DJ Tomekk produziert Top-Ten-Hits mit Rap-Stars aus den USA. Daheim ärgern sich die Leute, weil er trotz seines Erfolgs zu wenig für die Berliner Szene leistet. Ein Porträt
von CORNELIUS TITTEL
Ob man nicht um neun Uhr morgens Zeit für das Interview habe, möchte der freundliche Popstar am anderen Ende der Leitung wissen. Man könne das Ganze ja mit einem gemütlichen Frühstück verknüpfen, das Café dürfe ich wählen, einzige Bedingung: es sollte ein Quark-Kleie-Müsli auf der Karte stehen.
Auch das ist HipHop 2000. DJ Tomekk ist ein kooperativer, ernährungsbewusster Frühaufsteher ohne Allüren, der weder vorgibt, der Allerderbste zu sein, noch irgendwie sonst glaubt, den THC-Vollzeit-Clown geben zu müssen. Vielleicht ist es eben diese betont normale Art, die ihn – trotz zwei Top-Ten-Erfolgen seines Rhymes-Galore-Projekts und einer halben Million verkaufter Platten – zu einer Randfigur im immer heißer laufenden Deutsch-Rap-Diskurs macht.
Vielleicht ist es aber auch die Schlichtheit seiner Refrains („Ich lebe für HipHop“) oder die auf den ersten Blick kalkuliert zusammengekauft wirkende Gastrapper-Liste eines typischen Tomekk-Hits. Statt lokalpatriotisch Berliner MCs zu featuren, hat er offensichtlich mehr Spaß daran, HipHop-Ikonen wie Grandmaster Flash, Flavour Flav von Public Enemy und GZA aka The Genius vom Wu-Tang-Clan um einen Beitrag zu bitten. Dass der ein oder andere HipHop-Blockwart hinter vorgehaltener Hand von Sellout spricht, dürfte da kaum verwundern. Um die Aussicht auf die erste Million geht es jedenfalls nicht. Der Junge, der seinen Quark gerne in einer separaten Schüssel hätte, wüsste gar nicht, wie er sie ausgeben sollte: Seine kleine Sozialwohnung im siebten Stock eines leicht verranzten Schöneberger Fünfzigerjahrebaus ist ihm ebenso ans Herz gewachsen wie sein fünfzehn Jahre alter Audi.
Tomekk wurde in Krakau geboren. Nach der Trennung seiner Eltern zieht er mit seinem Vater durch Skandinavien und die USA. Wo immer der Vater als Pianist engagiert wird, verbringen sie einige Monate, bis sie sich – Tomekk ist gerade elf geworden – in Berlin niederlassen. „Als ich fünfzehn war, ist mein Papa gestorben, und es gab für mich nur zwei Alternativen: Entweder hier zu bleiben oder zurück nach Polen zu gehen. Ich wollte aber unbedingt DJ werden und schon aus dem Grund in Berlin bleiben.“ So übernimmt die Stadt Berlin seine Vormundschaft und Tomekk bezieht zwölf Quadratmeter des Kinderheims „Frohsinn“ im Wedding: „Im Rückblick erinnert das Ganze an ein Ferienlager, aber eigentlich war das schon rough. Alles Kinder von Alkoholikern und sozial schwachen Eltern. Ich war der einzige, der aus einem intakten Elternhaus kam, wo halt jemand gestorben ist, wo ich ja nichts für konnte.“ Tagsüber geht er zur Schule, seine Plattenspieler verdient er sich als Nachtportier einer Jugendherberge und jede freie Minute verbringt er manisch damit, Scratchen und DJ-Routines zu lernen.
Mit Erfolg. Vom Acud geht es ins Boogaloo und, als wäre dies nicht genug, von dort direkt in die Staaten. „Ich hab vor Kurtis Blow aufgelegt und wir haben uns so gut verstanden, dass ich 94 sein Tour-DJ auf der Westküstentour wurde. Das war das schönste Geschenk, das ich mir zum 18. Geburtstag wünschen konnte. Eine entscheidende Zeit, in der ich viel gelernt habe und eine Menge Leute getroffen habe. Eines Abends durfte ich sogar auf der Eröffnung eines Clubs in L.A. auflegen. Public Enemy sind aufgetreten, LL Cool J, Kurtis Blow und Grandmaster Flash, und ich kleiner Scheißer aus Berlin war der DJ. Was für ein Glück.“
Dass ihn speziell in Berlin einige Menschen genau dafür halten – einen kleinen Scheißer, der zu viel Glück hatte und nun die Berliner Szene schändlichst vernachlässigt – lässt ihn kalt. Als Produzent arbeite er doch nicht mit jemandem zusammen, nur weil er aus Berlin komme, außerdem sei immer noch vieles in Deutschland eine Eins-zu-eins-Kopie amerikanischen HipHops: „Da gehe ich doch lieber gleich nach Amerika und arbeite mit den Originalen statt mit den deutschen Textübersetzern.“
Überhaupt scheint Tomekk nicht die beste Meinung von deutschen MCs zu haben. „Glaub mir, es ist wesentlich einfacher mit KRS-One zu arbeiten als mit jemandem wie Afrob. Je länger ein Rapper im Geschäft ist, desto weitsichtiger und umgänglicher wird er. Und wenn jemand meint, meine Plattenfirma würde mir US-Stars teuer einkaufen: GZA hatte für ‚Ich lebe für HipHop‘ eine wesentlich kleinere Gehaltsforderung als der deutsche Curse. Das muss man sich mal reinziehen: Nur Deutsche denken, sie wären die Stars.“
Wieso auch, könnte man fragen, sollte ausgerechnet der Pole Tomekk die deutsche HipHop-Szene abfeiern, wo er doch erst seit seinem ersten Top-Ten-Erfolg eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung besitzt und ihm immer noch, bei jeder Einreise, unmissverständlich klar gemacht wird, dass er eines nicht ist: Deutscher. Wenn man HipHop mit Politik vergleiche, sagt er, müsse man doch eigentlich versuchen, globaler zu denken, die Fixierung aufs Lokale sei doch eine Art Rückzug, zumal in einem kleinen europäischen Land, das demnächst noch nicht einmal mehr eigenes Geld habe.
Tomekks World-Domination-Strategie könnte aufgehen: Seine Beats sind unbestritten dick, und der erklärte Traum, eines Tages Tracks für Missy Elliots zu produzieren, ist noch lange nicht ausgeträumt – zumal sie sich angenehm überrascht von Tomekks Remix ihres letzten Chartbreakers „Hot Boyz“ zeigte.
Bis es soweit ist, wird er erst einmal eine kroatische und eine russische Crew produzieren, den nächsten, sicheren Rhymes-Galore-Hit mit KRS-One und seinem deutschen Counterpart Torch („der raucht die neuen MCs alle in der Pfeife“) ins Rennen schicken und in New York mit illustren Kumpels wie Pete Rock, Jay-Z und Kurtis Blow am eigenen Album feilen. Tomekk jedenfalls wird nicht die letzte Goldene Schallplatte in den siebten Stock seiner Schöneberger Sozialwohnung geschleppt haben. Er lebt für HipHop. Für was sonst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen