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Die Elektrische für ganz Berlin

Umwelt- und Verkehrsverbände: Innerhalb von 15 Jahren könnten die Tramstrecken fast verdoppelt werden, hauptsächlich im Westteil der Stadt. Kostenpunkt: 3,5 Milliarden Mark, die zu einem Großteil aus Bundesmitteln finanziert werden sollen

von RICHARD ROTHER

Lange mussten die Westberliner auf sie verzichten – jetzt, zehn Jahre nach der Wende, scheint ihre Zeit langsam wieder zu kommen. „Die Straßenbahn für ganz Berlin“ lautet der Titel einer Studie, die mehrere Umwelt- und Verkehrsverbände gestern vorlegten. Der Drei-Stufen-Plan beschreibt detailliert, wie innerhalb der nächsten 15 Jahre die Tram Meter um Meter weiter in den Westteil fahren könnte. Rund 140 Kilometer neue Strecken müssten dafür gebaut werden. Mit dem neuen Konzept liegt jetzt erstmals eine gesamtstädtische Entwicklungsperspektive für die Straßenbahn vor.

Kernpunkt der Pläne: drei zentrale Korridore in den Westteil: vom Alexanderplatz über Französische und die Tiergartenstraße zum Zoo, vom Potsdamer Platz über die Potsdamer Straße zum Rathaus Steglitz sowie vom Regierungsviertel über den Mehringdamm Richtung Herrmannplatz.

Tilo Schütz, einer der Autoren der Studie, forderte, es müsse bald selbstverständlich sein, dass die Berliner mit der Straßenbahn vom Schlossplatz zum Zoo, von Moabit nach Kreuzberg oder von Mitte nach Schöneberg fahren können. Weitere Strecken bis nach Spandau würden dann folgen.

Die Straßenbahn sei ein hervorragendes öffentliches Verkehrsmittel, das insbesondere auf Fahrwegen zwischen zwei und sechs Kilometern deutliche Vorteile gegenüber Bus und U-Bahn habe, so Schütz. Die Straßenbahn sei schneller und effektiver als der Bus, zudem sei sie zugangsfreundlicher als die U-Bahn. Dies lohne sich vor allem auf Kurzstrecken. „Mit dem Konzept möchten wir dazu beitragen, dass nach zehn Jahren Einheit das Nahverkehrsnetz zusammenwächst und den veränderten Verkehrsbedürfnissen gerecht wird.“

Die Autoren veranschlagen rund 3,5 Milliarden Mark an Investitionskosten, aufzubringen innerhalb der nächsten 15 Jahre. Ein Großteil dieser Summe könne aus Bundesmitteln finanziert werden. Die Autoren verwiesen auf Erfolge anderer Städte: So sei etwa in Karlsruhe der Ausbau des Tramnetzes zu 80 bis 85 Prozent fremdfinanziert worden. Die Bundesmittel stünden schließlich auch bei dem umstrittenen Weiterbau der U5 zur Verfügung, so Schütz. Allerdings müsse das entsprechende Gesetz novelliert werden, räumte Schütz ein. Derzeit seien nur Tramlinien förderfähig, wenn sie ein eigenes Gleisbett bekämen.

Von diesem Dogma haben sich allerdings die Autoren bewusst befreit. Schütz: „Wir wollen die Straßenbahn in den bestehenden Verkehr integrieren.“ Die Tram erfülle dabei nicht nur verkehrs-, sondern auch stadtentwicklungspolitische Funktionen. Durch die Bahnen ließen sich verödete Plätze beleben. Die Passagiere fahren an interessanten Geschäften vorbei, werden zum Aussteigen animiert.

Schütz rechnet sich durchaus Realisierungschancen seiner Pläne aus. Bei den Experten von BVG und Verkehrsverwaltung stoße er immerhin auf offene Ohren. Allerdings gäbe es dort Differenzen zwischen der privaten und der beruflichen Meinung.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) startete indes seine Kampagne zum Bau einer Tramlinie auf der Potsdamer Straße. Schließlich sei hier der Bus hoffnungslos überlastet, sagte gestern BUND-Geschäftsführer Stefan Bundscherer. Die Straßenbahn würde Abhilfe schaffen. Die Umweltaktivisten verteilen aber nicht nur Flugblätter, sie suchen auch den Kontakt zu den Geschäftsleuten. Und stoßen auf Zustimmung. Das Hauptargument: „Wenn die Straßenbahn kommt, kann die Busspur weg“, so Bundscherer.

Holger Orb/Tilo Schütz: „Straßenbahn für ganz Berlin. Geschichte, Konzeption, Städtebau“. Jaron Verlag, 29,80 DM

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