: Neujahr, Selbstmord
■ Von der Möglichkeit, in der Kleinstadt zu bleiben: Die Boxhamsters in der Fabrik
Verzeihung, aber ich muss hier mal autobiographisch werden. Ich komme nämlich aus Hessen, und da gibt es schon lange eine Radio-sendung namens Der Ball ist rund, deren Moderator Klaus Walter mir in jungen Jahren manche Musik näher brachte. So war es auch, als eines Montagabends in Der Ball ist rund eine neue Band aus Gießen angekündigt wurde, die Boxhams-ters. „Na, mal wieder Klaus Walters Freundlichkeit gegenüber lokalen Bands“, war der nahe liegende Gedanke. Aber was dann kam, war eine Offenbarung. „Wieder läuft ein neues Jahr, keiner der zufrieden war“, sang da jemand mit einer gepressten Stimme, die so großartig nach knapp unterdrückter Wut klingt – so wie die besten Pop- und Rocksänger einfach durch ihre Stimme schon nach den Gefühlen klingen, die sie ausdrücken wollen.
„Prost Neujahr jr“ hieß das Lied, das etwas affige „jr“ beschrieb, wonach die Musik klang – nach Dinosaur jr, aber auch nach dieser Verzweiflung der Jugend, die nicht nach abschwächenden Begründungen sucht. Gedanken einer Silves-ternacht, an den Typen, der seine Frau schlägt, an die Oma, die an Nikolaus gestorben ist: „Durch die Nacht fällt etwas Schnee, gerade das tut mir so weh“ – das war die beste Rockmusik, wenn man 18 war. Und im Gegensatz zu den Fehlfarben gab es die Boxhamsters noch, wir konnten mit frischen Führerscheinen zu Jugendzentren fahren, wo sie spielten.
Jüngere mögen sich genauso gefühlt haben, als Tocotronic „Samstag ist Selbstmord“ sangen, Ältere erinnern sich an „Paul ist tot“ von den Fehlfarben – aber während diese beiden Bands in jeder vernünftigen Liste wichtiger Rockbands aus Deutschland auftauchen, fehlen die Boxhamsters da oft. Das liegt wohl daran, dass sie das Band-Sein immer vor allem als eine Möglichkeit verstanden haben, es in der Kleinstadt auszuhalten – die Wut derer, die nicht weggezogen sind.
Heute sind die Boxhamsters vor allem noch als Punkband bekannt, und das sind sie ja auch irgendwie: Auf jeder Platte durfte der Bassist einige Lieder schreien, auf den Konzerten hüpften vor der Bühne ein paar Leute herum, und gesoffen wurde im Boxhamsters-Bus gerne und viel. Aber die Texte von Sänger Martin Coburger, der sich Co rufen lässt, die waren immer voller Melancholie, Zweifel, manchmal sogar Zärtlichkeit, auch wenn er immer einen Dreh gefunden hat, für die Punks nicht als Weichei zu gelten.
Das ist diesmal etwa eine But-Alive-mäßige Hasszeile auf Stefan Raab. Diesmal, ja, denn es gibt die Boxhamsters noch, sie haben nach vier Jahren wieder ein Album aufgenommen, ihr sechstes. Saugschmerle heißt die, nach einem algenfressenden Fisch, und es hat sich fast nichts geändert: diese holpernden Bass-Intros, Gitarrenak-korde, die wie ein Solo klingen, ohne ein blödes Solo zu sein, diese Stimme von früher. Co ist inzwischen Vater, alle haben schon einige Haare verloren, aber sie gehen trotzdem auf Tour – und hoffentlich kommen so viele Leute hin, wie es einer der wichtigsten Rockbands aus Deutschland gebührt.
Ich ärgere mich heute ein biss-chen darüber, dass ich meinen Plan von damals, als ich die Boxhamsters zum ersten Mal hörte, doch nicht umgesetzt habe: „Prost Neujahr jr“ hörst du jetzt jedes Jahr, dachte ich, immer dann, wenn die anderen Dinner For One gucken.
Felix Bayer
Freitag, 21 Uhr, Fabrik
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