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: HELMUT HÖGE zur Lage der Detonation

Ein Explosé

In seinem Rechenschaftsbericht über den „arabischen Aufstand“ schreibt der berühmte homosexuelle Partisanenführer T. E. Lawrence (von Arabien):

„In Um Kes – zwischen Haifa und Dera – ist das alte Gadara, die Geburtsstätte des Menippos und des Meleager, des unsterblichen griechischen Syriers, dessen Schriften den Höhepunkt der syrischen Philosophenschule bedeuten. Der Ort liegt genau oberhalb der Jarmukbrücke, eines stählernen Meisterwerks, dessen Zerstörung meinen Namen rühmlichst in die der Schule von Gadara einreihen wird.“

Nach der Sprengung des Berliner Stadtschlosses notierte sich der damalige heterosexuelle Staatsratsvorsitzende W. Ulbricht:

„Zwar spät, aber nicht zu spät reiht diese Tat uns endlich würdig in die ruhmreiche Geschichte des proletarischen Widerstands ein – in jene Reihe von Kämpfern – beginnend mit den Französischen Revolutionären, die die Adelsherrschaft zerschlugen, und Lenins Bolschewisten, die den Zaren und seine Familie liquidierten, über Stalin, der der faschistischen Hydra die Köpfe abschlug, bis zu den Deutschen Kommunisten, die mit der Sprengung des Hohenzollernschlosses das Zentrum der Reaktion und des preußischen Militarismus auslöschten.“

Wie man vielleicht weiß, war der Schlossbau von den Hohenzollern 1451 durch eine ihrer üblen Intrigen, die zunächst den so genannten „Berliner Unwillen“ auslöste, erzwungen worden – zur Bekräftigung der fürderhin willfährigen Unterordnung des Berliner Bürgertums: Es musste dafür zahlen.

Die DDR setzte dann an Stelle dieses Bauwerks der Schande den Palast der Republik, der nun wieder einem (privaten) Schloss-Neubau weichen soll. Dieses soll die neuen Anpassungszwänge möglichst interessant symbolisieren.

Gleichzeitig sieht sich die um Legitimation ringende „neue Ökonomie“ jedoch wieder vom anarchistischen Unternehmertum im Osten bedroht.

Die öffentliche Meinung über die osteuropäischen Schlepperbanden – die unter anderem Flüchtlinge aus Bangladesch, Indien und China, meist jedoch einheimische Frauen über die Grenzen nach Westeuropa schleusen – ist dafür bezeichnend.

Sie gelten hierzulande alle als äußerst gefährlich und hochkriminell.

Dabei sind sie nur eine Wiederholung der neuen Ökonomie, die mit dem deutschen Überfall auf Osteuropa 1939 bis 1941 begann.

Ihre Schwalben: Zigtausende von Hirten und Kleinbauern an den neuen Grenzen zwischen Polen und dem Balkan, denen die Deutschen als Besatzer nach und nach die Herden geraubt hatten, sattelten um auf den kleinen Grenz-Schmuggel.

Nebenbei brachten sie gegen Bezahlung auch Juden, Untergrund-Kuriere, Partisanen und entflohene Kriegsgefangene über die Grenze. Im Jiddischen hießen die Menschenschmuggler „Macher“.

Insofern diese ehemaligen Hirten, Knechte und Kleinbauern nun als wandernde Orts-, Wege- und Gefahrenkundige ihren Lebensunterhalt verdienten, kann man sagen, dass sie – zumal wenn sie sich zu ganzen Schlepperbanden zusammentaten – die Avantgarde beim plötzlichen Übergang von der Produktions- zur Informationsgesellschaft waren – und auch wieder sind.

Im Übrigen gab und gibt es keine Verschleppung von Frauen gegen ihren Willen, weil stets mehr Frauen über die Grenzen wollten – gegen Bezahlung –, als alle Schlepperbanden schaffen könnten – was sich natürlich ebenso „unsozial“ auf den Transfertarif auswirkt wie auf der anderen Seite extrem sichere Grenzbefestigungen produziert.

Ironischerweise wünschen sich heute die postproletarischen Men in Sportswear auf beiden Seiten – das heißt sowohl die zivil gekleideten Menschenschmuggler als auch die uniformierten Staatsdiener –, dass es immer mehr Nationen und damit immer mehr Grenzen gibt: Die wachsende Nachfrage belebt das Geschäft, wie es dazu in einem gemeinsamen Kommuniqué aus Kiew heißt.

Wer das nicht begrüßt, der ist bloß in der neuen „Flexibilität“ noch nicht über das Mittwochslotto und die Verlosungen der kommerziell beworbenen Green-Cards hinausgekommen.