die stimme der kritik: Betr.: Tamagotchis für den Seniorenpark
Hallo, bitte, danke, gute Nacht!
Mit den Alten ist es wie mit den Radionukliden. Sie müssen entsorgt werden, und keiner weiß so recht, wohin. Und es werden immer mehr. Wie gut, dass es den Japaner gibt. Der hat schon in den 40er-Jahren den Roboter erfunden. Heute, 60 Jahre danach, haben Sony und Co. nicht nur schicke Robo-Hunde entwickelt, die von alleine aufstehen, bellen, mit den Augen blinken und statt Chappi jede Menge Batterien fressen. Sie haben auch interaktiv kommunizierende Plüschtiere für rüstige Senioren gebaut, die im ZDF sehr, sehr lustig vorgestellt wurden.
Die Elektro-Viecher sehen schwer süß aus und beherrschen ein Vokabular von bis zu 3.000 Wörtern. Reckt der einsame alte Japaner morgens seinen steifen Hals, wird er schon mit einem freudigen „Ohayougozaimasu“ aus der Tiermaschine begrüßt. Zugegeben: Über dekonstruktiven Feminismus oder Habermas’ Theorie des kommunikativen Handelns haben die Toy-Robotics nicht allzu viel auf der Festplatte. Aber wenn sich der gemeine Alte auf die vom Hersteller empfohlenen Standardsätze beschränkt, kann er mit seinem Roboter eine prima Unterhaltung führen. „Danke, bitte, es geht mir gut, heute ist ein schöner Tag.“ – „Hast du schon die Herztropfen genommen?“ Bei entsprechender Programmierung vielleicht sogar: „alles Liebe zum Geburtstag!“ Huiii!
Und jetzt kommt der absolute Knüller: Die sprechenden Viecher sind in Echtzeit mit einer Zentralstelle der Altenfürsorge vernetzt. Da sitzt dann der amtlich installierte Oberhirte, zeichnet alle Gespräche, die der Alte mit der Fell-Maschine führt, getreulichst auf, guckt immer mal nach, ob Greis und Gesprächspartner noch richtig ticken. Wenn nicht, kann er sich jederzeit „einschalten“ und über das Lautsprecherchen der plüschigen Robbe direkt mit dem Alten reden. „Hallo, Opa Kawasaki, iss was?“ Das ist Ressourcen sparend, schnell und schon fast internetartig modern.
Die neue Technik lässt sich womöglich auch in den Altenheimen in Australien und Vietnam einsetzen, wo mangels Platz im eigenen Land ausladende japanische Seniorenzentren gegründet werden. Doch trotz aller Hightech-Fürsorge: Der alte Japaner zieht nicht richtig mit. Die Zahl der Alten, die „Yonige“ machen, zu Deutsch: „Flucht in der Nacht“, ist unter den über 60-Jährigen im vergangenen Jahr um 5,2 Prozent gestiegen. Im ganzen Land hat die Selbstmordrate den neuen Höchststand von 33.048 Personen erreicht. Und dabei geben sich die Sony-Ingenieure so viel Mühe. Undankbare Senilenschar! MANFRED KRIENER
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