Warten auf den nächsten Schuss

Relativ ruhig blieb es gestern. Doch jederzeit ist in Palästina ein Wiederaufflammen der Gewalt möglich. Palästinenser hoffen auf arabische Solidarität

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Gestern Nachmittag gab es Anlass zu Hoffnung in Palästina: Das Freitagsgebet der rund 10. 000 Gläubigen, die israelische Polizei auf den Tempelberg gelassen hatte, war ruhig verlaufen. Am Damaskus-Tor in der Jerusalemer Altstadt hielten palästinensische Polizisten in Zivil Demonstranten von Steinwürfen ab. Nach den Schusswechseln vom Vortag, als bei Nablus ein jüdischer Siedler und ein Palästinenser gestorben waren, bemühten sich die Sicherheitskräfte beider Seiten, die Lage unter Kontrolle zu halten.

Am Nachmittag endete die von Israel festgelegte 48-stündige Frist, die Abkommen von Scharm al-Scheich einzuhalten. Die Israelis behaupteten, ihren Verpflichtungen nachgekommen zu sein. Dazu gehört die Öffnung der internationalen Zugänge an der Grenze zu Ägypten und nach Jordanien sowie die Wiederaufnahme des Flugbetriebes auf dem internationalen Flughafen in Gaza. Außerdem sollte die Einreisesperre für palästinensische Arbeitnehmer aufgehoben werden.

Ungeachtet der relativen Ruhe in den Palästinensergebieten setzt sich beim israelischen Militär die Vermutung durch, dass Palästinenserpräsident Jassir Arafat nicht vorhat, die Friedensverhandlungen fortzusetzen. Die Armee rechnet mit einem Wiederaufleben der Gewalt mit dem Ziel der Palästinenser, entweder ein internationales Eingreifen zu bewirken oder eine regionale Konfrontation. Es sei wenig überraschend, dass die Gewalt nicht völlig beendet wurde, kommentiert dieTageszeitung Haaretz. „Arafat lässt das Feuer auf kleiner Flamme glimmen bis zum Ende des Gipfels in Kairo.“

Auf Einladung des ägyptischen Staatschefs Hosni Mubarak kommen heute die Vertreter von über 20 arabischen Nationen zusammen. Die Palästinenser hoffen auf konkrete Unterstützung sowohl finanzieller als auch politischer Art. Denkbar wäre auch eine gemeinsame Erklärung der Außenminister über die Unverzichtbarkeit Ost-Jerusalems. Wenig Hoffnung auf Erfolg äußerte der Chef der Hamas, Scheich Achmad Jassin, im Gaza-Streifen in einem Gespräch. „Die arabischen Länder sollten uns auf die gleiche Art unterstützen, wie die Amerikaner es mit Israel tun.“ Dass das nicht geschehe, führt der Scheich auf „amerikanischen Druck“ zurück. Die USA setzten auch Jassir Arafat unter großen Druck.

In Kairo stehen sich vor allem zwei Positionen gegenüber: Die Staaten, die zu konkreten Maßnahmen gegen Israel aufrufen werden, wie die Unterbrechung diplomatischer Kontakte, und die Staaten, die sich mit einer Verurteilung der Gewalt von israelischer Seite zufriedengeben würden. Dazu gehören vor allem Ägypten und Jordanien, die beide einen Friedensvertrag mit Israel unterschrieben haben. Denkbar wäre, dass auch Staaten wie Syrien, die wiederum ein enges Verhältnis mit Jordanien haben und möglicherweise König Abdallah nicht unter Druck setzen wollen, darauf verzichten werden, konkrete Maßnahmen gegen Israel zu fordern.

Zeitungsberichten zufolge ließ der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi bereits Einzelheiten aus einem Entwurf für die gemeinsame Erklärung durchblicken. Demnach fordern die arabischen Staaten die Errichtung einer internationalen Untersuchung der gewalttätigen Auseinandersetzungen. Außerdem sollen die „Kriegsverbrecher, die Massaker an Palästinensern verübt haben“, vor ein Gericht gestellt werden. Gaddafi hatte, ähnlich wie einige andere arabische Staatsführer, zu einer Konfrontation mit Israel aufgerufen.