Sabber, Spritz und Kotz!

Über flüssige Kontakte: Das Mainstream-Kino macht in Filmen wie „Ich, Beide & Sie“, „American Pie“ oder „Familie Klumps und der verrückte Professor“ den schlechten Geschmack zum neuen Leitbild für Körperfantasien unterhalb der Gürtellinie

von GEORG SEESSLEN

Früher waren die Verhältnisse klar. Da gab’s einen Mainstream, mit schönen, verlogenen Bildern, und richtig schlechten Geschmack im Underground, als Provokation. Wenn unsere Musik zu laut ist, dann seid ihr zu alt, sagten die Punks. Wenn jemand bei meinen Filmen kotzt, ist das mein schönster Applaus, sagte John Waters. Schlechter Geschmack, das war etwas für die „neuen Wilden“ des Horrorfilms in den 70er-Jahren. Die Grenzen zwischen Mainstream-Geschmack und bad taste waren nicht nur durch die von Filmkultur zu Filmkultur vielleicht etwas unterschiedlichen Bestimmungen der Zensur bestimmt oder durch den Unterschied zwischen dem, wobei man sich erwischen lassen will, und dem, wobei lieber nicht.

Sie hatten auch mit dem psychischen Status der Menschen in der Gesellschaft zu tun. Die Geschmacklosigkeit war damals Privileg von Menschen, die irgendetwas zwischen Grauen, Ekel und Aggression dagegen spürten, was die Gesellschaft mit dem Körper anfängt. Nun aber liegt bad taste nicht mehr allein im Bereich dessen, was man früher so abschätzig-verständnisvoll „pubertär“ oder gar „spätpubertär“ genannt hat, nichts für Leute unter 14 und über 20. Der Körper von Menschen, die nicht mehr Kind und noch nicht erwachsen waren, musste von vornherein etwas Peinliches haben, nicht wie der Körper des kategorisch komischen Erwachsenen, der zu dick, zu dünn, zu lang, zu kurz oder einfach zu ausgeprägt ist. Sondern ganz buchstäblich Medium der Transgression. Komisch ist, wenn das Kindliche in ihm Oberhand gewinnt, wie in den Filmen der großen Körper-Komiker, oder wenn er umgekehrt, ganz überraschend, Aufgaben bewältigt, für die der erwachsene Körper schon zu vernünftig ist. Weil nur ein noch nicht verbogener Charakter seinen Körper so verbiegen kann. Teil unserer Männer-Ikonografie ist es, dass der Körper des Mannes in der Regel transitiv komisch ist, der Körper der Frau, wenn überhaupt, nur kategorisch komisch sein kann. In einer deutschen Proll-Komödie hört das Komische in dem Augenblick auf, wo das „nette Mädchen“ ins Bild kommt. Sie macht vielleicht noch einen kleinen Rülpser mit, aber eigentlich bringt sie, ob in „Ballermann 6“, „Otto“ oder „Erkan & Stefan“ den rebellisch-regressiven Männerkörper erst einmal zum Schweigen.

Vielleicht kann man es so sehen: „Pubertär“ ist eben jener Blick, der mit einer Mischung aus Panik und Geilheit auf die Funktionen des Körpers gerichtet ist, und dieses Interesse geht wahrlich von jedem Furz bis zur fachgerechten Zerstückelung des Körpers in den Slasher Movies. Sabber, Spritz und Kotz! Irgendwie kommt man in den Duschraum der Mädchen, in die Toilette, ins Leichenschauhaus. Das sind so Bilderwelten, die dem Kind tunlichst verborgen werden und von denen der erwachsene Mensch sich noch tunlichster verabschiedet hat. Wenn sich siebzehnjährige Jungs und, na ja, vielleicht auch ein paar Mädchen mit Titten, Terror und Tabuverstößen medial vergnügen, erregt das zwar hier und dort Anstoß, aber eigentlich ist die Medienwelt doch in Ordnung. Bad taste ist da am richtigen Platz.

Aber was, wenn diese Körperlichkeit das Teen-Ghetto verlässt, wenn, zum Beispiel, so niedliche Kinder-Wesen wie in „South Park“ so grausame und eklige Dinge tun, wenn’s auch für Managerinnen und Kindergärtner bei der neuesten Farrelly-Komödie kein Halten mehr gibt, wenn Jim Carrey sich über den Busen einer stillenden Frau hermacht und mit einem „Milchbart“ vor der Kamera wieder auftaucht? Gestern haben wir uns über die Infantilisierung der Gesellschaft unterhalten, am liebsten anhand von Spielberg-Filmen. Jetzt ist die Ausbreitung der Pubertät in alle Lebensalter dran, das komische Begehren des (männlichen) Körpers in den transgressiven Komödien, zum Beispiel direkt und ohne Umschweife, möglichst flüssig, in Kontakt mit der Umwelt zu treten. Dabei ist es wichtig, dass, wie auch in „Ich, Beide & Sie“, die Sprache verschwindet (oder wenigstens auf ihre Materialität zurückgeführt wird). Transgression, jedenfalls im komischen Kino, ist vielleicht nichts anderes als eine Regression, gegen die irgendwer was hat.

Merkwürdig ist das aber schon, dass im Gegensatz zu den klassischen Teenager-Komödien die Szenen in den Farrelly-Filmen im kollektiven Gedächtnis bleiben. Das Sperma-Gel im Haar von Cameron Diaz ist sozusagen Filmgeschichte geworden. Eine Art Rückführung und Selbstparodie ist der Schnitt in „Ich, Beide & Sie“, wo von dem Scheißhaufen, den der Nachbar auf seinem Garten hinterlassen hat, ein Stück Sckokoladenpudding geschnitten wird. Natürlich kann man sagen: wie harmlos gegen den Akt des echten Scheißefressens von Divine in John Waters’ „Pink Flamingos“. Aber vielleicht auch schlimmer! John Waters haut uns eine transgressive Szene um die Ohren, führt uns etwas vor. Die Kamera sagt: He, Leute, das ist jetzt echt (aber so was bringt eben nur Divine fertig). Die Farrelly-Brothers dagegen machen uns von wollüstig schockierten Zuschauern zu medialen Komplizen. Die Assoziation führt direkt ins Alltägliche.

Das ist eine Transgression zweiten Grades, eine Transgression für eine Zeit, die den Tabubruch nicht mehr als solchen ahndet, sondern ihn zu einer Frage des Zusammenhangs macht. Und dabei hat sich, vielleicht unbemerkt, die Entwicklungslinie des bad taste umgedreht. Wenn das Grausame, Komische und Peinliche einst ein Abfallprodukt des Erwachsenwerdens war – allerdings schon früh mit einer Tendenz zur endlosen Verlängerung und Wiederholung wie in den „Eis am Stil“-Filmen oder in der Familie von Al Bundy –, dann scheint es in den Transgressionskomödien heute gerade Abfallprodukt einer gewaltsamen Regression (mit einem Nebeneffekt: man sieht die Gründe und das Milieu der Regression). Die Transgressionskomödie versteht man nicht ohne die Geschichte der Bigotterie, des Puritanismus, der Doppelmoral. Aber sie geht nicht mehr darin auf.

Die Transgression erreicht den höchsten Grad an neuer Peinlichkeit, wenn der entgrenzte Genuss des Körpers sich in ebender Institution entfaltet, die zu seiner Kontrolle ausgebildet wurde: in der Familie. Das eben unterscheidet, sagen wir Jerry Lewis’ wundersamen „The Nutty Professor“ von Eddie Murphys Remake und Sequel zum Remake. In der Familie Klumps gehen alle Körper in grotesken Bildern ihres Begehrens auf, die geile Großmutter entblößt sich, der Vater panzert sich, die Mutter sehnt sich: Die Familie ist ein System der körperlichen Missverständnisse. Hier ist jeder Körper und jeder Blick pubertär. Insofern sind wir in einem Zustand der Ehrlichkeit angelangt: Die Vorstellung des Körpers, der irgendwann mal vernünftig wird, ist ein Witz.

Im Grunde laufen alle Transgressionskomödien auf die immer gleichen, letzten Tabus hinaus. Nur Anzahl und Deutlichkeit der „pubertären“ Standardsituationen, nicht aber die Struktur unterscheidet, sagen wir, „American Pie“ von den alten Teenage-Komödien, vielleicht dass an die Stelle der Besessenheit von einzelnen Menschen ganze Systeme von Besessenheit getreten sind. Aber der Clash zwischen dem Körper, der sein Begehren und seine Unlust zur Kontrolle an den „unmöglichsten“ Stellen zum Ausdruck bringt, und den sozialen Instanzen lässt jene „lineare“ Hoffnung der alten Komik nicht mehr zu: Der Körper eines Mannes wie Jerry Lewis ist nicht mehr komisch, wenn er dann doch bei aller Retardierung erwachsen wird. Das Komische des männlichen Körpers liegt in der Phase seiner Einsamkeit zwischen Mutter und Ehefrau. So einfach ist das nicht mehr. Es geht immer zugleich nach vorn und zurück.

Das Begehren revoltiert in der Vergangenheit, alle suchen Glück oder wenigstens Befriedigung, und niemand ist mehr sicher. In Tod Solondz’ „Happiness“ geht es nicht weniger zur Sache als bei den Farrellys, nur dass dort die Tragödie viel deutlicher in die Komödie des Körpers eingeschrieben ist. Happiness – das Glück: Alle suchen es, aber der Körper scheint es nicht mehr herstellen und nicht mehr vermitteln zu können. In den Urgründen aller Komik lauern die Versuche, die Ordnungen der Welt gegenüber dem allfälligen Liebesverrat wieder herzustellen – mit Gewalt –, und der Zusammenbruch des Systems von Körper und Familie. Nebenan leiden wir auch im Kino unter den Zerstörungen, die der Missbrauch in den Menschen anrichtet, von „Das Fest“ bis zu „War Zone“. Vielleicht ist das mythische Paar unserer Zeit die leidende Wynona Rider und der komische Jim Carrey. Zwei Möglichkeiten, den Körper zu verlieren.

Mit dem Mainstream-Erfolg von bad taste hat natürlich auch ein ökonomischer Umverteilungskampf einen neuen Punkt erreicht. Der alte Kampf zwischen den Major Studios und den Independents wurde ja immer mit den Mitteln der Transgression geführt. Der Mainstream repräsentierte die „gute“ Mitte, die Independents die bösen Außenseiter mit den unanständigen Bildern. Moralische Zensur war daher immer auch ein ökonomisches Herrschaftsmittel. „Hollywood hat uns Sex und Gewalt gestohlen“, heißt es melancholisch in John Waters’ neuer Komödie „Cecil B. Demented“. Wohl wahr.

Diese Aneignung des schlechten Geschmacks durch den Mainstream hat einen furchtbaren Nebeneffekt, sehen wir einmal davon ab, wie da auch das Transgressive zur Konvention wird. Der Tabuverstoß hat kein äußeres Objekt mehr. Er kann nur noch ohnmächtig gegen das Verschwinden des Körperlichen protestieren – besser einen unappetitlichen als gar keinen Körper. Besser einen spürbaren Körper als einen idealen.

Wo aber finden sich das Transgressive der Körper-Komik und die politische Metaphorik? Eine Idee ist es, dass die Transgressionskomödien – verkappte Americana dort, verkappte Nationalhymnen hier – Heimatbilder sind, in die nur mit einem Schock der Regression wieder einzutauchen ist. Mit dem komischen Schock kommen wir direkt in die Kindheit zurück, in die Kindheit auch des Landes, zum Beispiel. Die Idee der Jugend ist nun nur noch entweder durch Gewalt oder durch Komik oder eben durch gewalttätige Komik zu erlangen. Charlie, der gute Motorradpolizist und Familienvater von „Ich, Beide & Sie“, muss schizophren werden, nicht nur wegen unerfüllter Impulse und der Unterdrückung durch die eklige Familie, sondern weil er als Hank Baileygates noch einmal jung ist. Seine Frau betrügt ihn mit einem kleinwüchsigen Afroamerikaner – ist das komisch? Wahrscheinlich nur durch unsere Komplizenschaft. Noch die Reste des moralischen Überichs müssen mit schwerem Geschütz bekämpft werden, weil man weiß, dass man in Wahrheit nur noch Gespenster bekämpft. Der gute Geschmack ist ein Gespenst, das Tabu ist ein Gespenst. Und die erwachsene Vernunft ist auch ein Gespenst.