Krieger, Priester, Lover

■ In der USA schwemmt eine Welle kultureller Ausgrabungen unter dem Namen „Soul Fiction“ auch afroamerikanische Romane der 60er Jahre ans Tageslicht. Der kleine Bremer Atlantikverlag übersetzte die Reihe ins Deutsche

In der „Declaration of independence“ (1776, 4th of July) dichtete Thomas Jefferson perlweiß glänzende Sätze wie Folgenden: „Wir halten es für selbstverständlich, dass alle Menschen gleich geschaffen sind.“ Wobei es leider auch für Jefferson mehr und weniger Gleiche gab. In den „Notes of the state of Virginia“ (1784) bedauerte er inständig: „Unter den Schwarzen existiert bei Gott jede Menge Elend, aber keine Literatur und Poesie.“ Ein Irrtum, den unter anderem die Anthropologin Zora Neale Hurston (1901-1960) zu beheben suchte. Diese weibliche, farbige Variante unserer Gebrüder Grimm stieß in den 30er Jahren bei ihren Feldforschungen in Florida auf eine reiche Tradition von schwarzer Literatur: Zaubersprüche, Lieder, Heilrezepte und folk tales. Alice Walker wollte dieser Bergungsspezialistin für schwarzes Wortgut einst an deren Grab Kondolenz erweisen. Doch ihr Grab war verborgen, verscharrt in einem Schwarzenfriedhof mit dem schönen Namen „Garden of heavenly Rest“. Kein Wunder, dass Alice Walkers literarische Standortbestimmung dann so lautet: „Ich bin ganz und gar damit beschäftigt, wenigstens für ein spirituelles Überleben meiner Leute zu sorgen.“

Ausgerechnet im fernen Bremen beteiligen sich zwei Menschen an dieser Traditionssicherung. Sie heißen Jürgen Heiser und Reinhard Seekamp und setzten sich in ihrem Atlantik Verlag schon seit Jahren für außereuropäische Literatur ein. Seit letztem Herbst veröffentlichen sie unter dem Logo „Soul fiction“ Schlag auf Schlag afroamerikanische Romane der 60er und 70er Jahre, die in ihrer Entstehungszeit sehr erfolgreich waren, aber bald in Vergessenheit gerieten. Ausgegraben haben sie die aber nicht selbst, sondern der New Yorker Verlag W.W. Norton. Seit 1996 veröffentlicht der die gehobenen Schätze. Ein Herr namens Gottfried Fink war begeistert davon, übersetzte sie ins Deutsche und gewann den Atlantik Verlag für die Veröffentlichung.

Die Romane dokumentieren sehr genau den Diskussionsstand in den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten der Farbigen. Vor allem geht es dabei immer um das Verhältnis zu den Weißen: Abgrenzen oder integrieren. Und sie zeigen, wie Gewalt von einer Generation auf die nächste vererbt wird und sich die Kinder an den Verletzungen der Urgroßeltern abarbeiten.

Es geht um „the bleakness of black life“, wie das Richard Wright mal schön sagte, um die total andere, den Weißen unbekannte Welt – „Another Country“ – in der Schwarze nach James Baldwin leben. Wright wurde in den 40ern noch schwer angegiftet, weil er etwa in „Native son“ Verkorkstheit und Gewalt innerhalb der schwarzen Community nicht verschwieg; in den 60ern ist sie selbstverständliches Kernthema. Haben sich Gaines, Baldwin, Walker auch viel mit den Problemen in den zurückgebliebenen Käffern im Süden oder gemeingefährlich bigotten, reaktionären Christen auseinandergesetzt, zeigen die Romane der Soul- fiction-Reihe Großstadtszenarien mit Drogen, Alk, lockerem Sex, Bandenkriminalität und der identitätsstiftenden Wirkung von Musik wie sie heute in HipHop-Songs nur wenig anders klingen.

Die Texte sind aber keineswegs nur von soziologischem Interesse. Sie halten allesamt jene Erzählstandards, die farbige Literaturheroen wie Richard Wright, James Baldwin oder Ernest Gaines vorgegeben haben. In den 60er Jahren, wo in Europa wieder mal mit neuen Formen experimentiert wurde, wie etwa im Nouveau Roman, regierte in der farbigen Literatur die lineare Narration.

Was aber nicht heißt, dass über die Form nicht nachgedacht wurde. „We wear the mask“, wir tragen die Maske der Weißen, wusste P.L. Dunbar schon im 19. Jahrhundert, und meinte damit auch die Übernahme der literarischen Formen der Weißen. Was dazu führte, dass man im Jazz und im Spriritual nach originär schwarzen Strukturen fahndete. Eine Suche, die sich zum Beispiel in Titeln wie „12 moods for Jazz“ (Langston Hughes) oder “Go tell it on the mountain“ (James Baldwin) niederschlug oder Jean Tommers veranlasste, Folksongs in seine Texte einzubauen.

Auch in „Soul fiction“ wird immer wieder der hohe Ton von Spirituals zitiert, der alles ins Allgemeingültige hebt (“Und Schermut senkte sich über das ganze Land...“). Oder die Geschichte wird durch leitmotivisch eingesetzte Soulsong-Zitate kommentiert. Doch daneben gibt es eben auch eine moderne Collagetechnik, mit rasanten Schnitten wie aus dem Hollywoodfilm. Doch auch das Fehlen vertrackter Form, ist bewusste Form. Schließlich galt es vor 40 Jahren den übersehenen schwarzen Alltag sichtbar zu machen. Und so finden sich in den Romanen seitenweise coole Mittags- und Biertisch-Dialoge, wo das Allgemeine ganz nebenbei aufblitzt. Das liest sich verdammt gut runter.

In allen Romanen schwingt aber auch mit, dass es in schwarzer Literatur seit jeher um mehr ging als das gute Buch. Zum Beispiel um das Festhalten von Ungerechtigkeit, wie bei den „fugitive slave narritives“, jenen Erlebnisaufsätze, die seit 1760 von Sklaven im Auftrag wohlmeinender, weißer Abolitionisten verfasst wurden. Oder um das Mobilisieren politischer Energien. „The artist and the political activist are one“, träumte der radikale Amiri Baraka 1968, drei Jahre nach der Ermordung von Malcolm X „both are warriors, priests, lovers, destroyers.“ Und der Farbige Charles Chesnutt hoffte sogar – und das zur vorletzten Jahrhundertwende – dass auch der Klassenfeind etwas zum Lernen fände: „Ich schreibe nicht so sehr für die Erlösung der Farbigen, sondern für die der Weißen.“ Schließlich müssen wir alle uns durchboxen, überleben, tagtäglich, wie Raymond und Jake.

Bleibt noch zu erklären, wie der Atlantik Verlag zu politisch engagiertem Programm kommt. Schuld ist die taz. Die Geschichte geht so: In der taz wurde, long time ago, wurden fehlerhafte Dinge über den farbigen George Jackson behauptet, der für die Rechte von Gefangenen eintrat und auf der Flucht erschossen wurde, angeblich. So ein bodenloser Quatsch dachte sich's Jürgen Heiser, der durch viele USA-Reisen gute Kontakte zur schwarzen Bürgerrechtsbewegung hatte und suchte einen Verleger für das Aktenmaterial. Weil er den nicht fand, avancierte er notgedrungen selbst zum Verleger. Erster Titel, 1987 teils eigenhändig in die Schreibmaschine gehackt: „Geschichte ist eine Waffe. Bd 1“. Einen zweiten Band gab es nicht. Vor 2,5 Jahren entschloss sich der Sozialpädagoge seine Verlagsarbeit zum Fulltimejob zu machen. bk

Die Romane kosten zwischen 24,80 und 29,80