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„Sie werden uns in einen Zoo stecken“

Warum er die Roma beneidet und die 68er hasst: Der Regisseur und Hobbymusiker Emir Kusturica über Politik und Kultur in Exjugoslawien

taz: Sie sind derzeit mit Ihrer Band auf Tournee, Ihr letzter Film „Schwarze Katze, weißer Kater“ liegt schon zwei Jahre zurück. Vermissen Sie das Filmemachen nicht?

Emir Kusturica: Doch, das tue ich. Als der Herbst begann, hatte ich das Gefühl, dass ich wirklich bereit bin, einen neuen Film zu drehen. Ich arbeite seit einem Jahr am Drehbuch: Es geht um einen russischen Schauspieler, der in New York lebt und dort am Theater den Cyrano de Bergerac spielt, und der in den Titanschmuggel zwischen Russland und Amerika verwickelt wird.

Ihre Band und Sie entstammen der Off-Kulturszene von Sarajevo, 1986 siedelten Sie nach Belgrad über. Wie blicken Sie heute auf Ihre Zeit in Bosnien zurück?

Es gab eine Goldene Ära in Sarajevo, die von 1980 bis Mitte der Achtziger reichte. Obwohl der Titoismus noch nicht wirklich überwunden war, gab es dort eine Art Untergrundkultur, die offiziell akzeptiert war: gute Bücher, gute Dichtung, gute Filme, gute Musik. Dann kam die Demokratie und mit ihr Parteien, die vor allem die verschiedenen Nationalitäten repräsentierten. Und danach wurde alles zerstört.

Was machte die Szene in Sarajevo aus?

Unsere Bewegung nannte sich „Neuer Primitivismus“. Es gab Punks, die wie alte Primitive gekleidet waren, über die sie sich aber eigentlich lustig machten.

Doch wenn ich mir anhöre, in welchem Jargon die Leute in Sarajevo heute reden – darüber haben wir vor zehn Jahren Witze gemacht. Warum ist das heute so? Weil die westliche Welt heute globalisierte Räume produziert und gleichzeitig Enklaven schafft, wo jeder an seinen nationalen Konservatismen festhält.

Sie sehen in dem, was in Sarajevo passiert ist, einen Sieg des realen „Primitivismus“ über die Zivilisation der Stadt?

Ich fürchte ja. Ich will nicht narzisstisch erscheinen, aber immerhin haben meine Filme überall Erfolg – da spricht es doch von einer ziemlichen Provinzialität, wenn man mich in Sarajevo zur Persona non grata erklärt. Außerdem bin ich ein Opfer ethnischer Säuberungen geworden: Zwei Häuser meiner Familie bei Sarajevo haben sie zerstört.

War das wegen Ihrer Haltung im Krieg?

Ich habe 1992 gesagt, dass an der Entstehung des Krieges drei nationalistische Parteien beteiligt waren: Dass die Serben keine geborenen Killer waren, die nach Bosnien gekommen sind, um Muslime oder Kroaten zu töten, sondern dass die Aggressionen sich gegenseitig bedingten und dass Herr Izetbegović log, wenn er behauptete, er wolle ein multiethnisches Bosnien schaffen.

Ich war immer der Meinung, dass Herr Karadžić die nützlichste Person für Izetbegović ist, weil der ohne dessen Bomben seine Republik nicht hätte. Aber so etwas wurde nicht gerne gehört, während die Serben Granaten auf die Stadt abfeuerten. In so einer Situation interessiert man sich nicht für die Realität – da will man etwas hören, das Hoffnung macht.

Als 1996 mein Film „Underground“ herauskam, hieß es, der Film sei pro Milošević, was schlicht Unsinn ist. Wenn man sich den Film heute anschaut, sieht man deutlich, dass es darin auch gegen Milošević geht – aber es geht nicht um ihn selbst, sondern um ein Politikermodell, das es von Lateinamerika bis Jugoslawien gibt.

Können Sie sich vorstellen, eines Tages wieder nach Sarajevo zurückzugehen?

Nein. Wem das eigene Haus niedergebrannt wurde, wenn der Familie so viel angetan wurde – dann kann man vielleicht vergeben, aber nicht vergessen. Außerdem habe ich mich an japanisches Essen und andere Annehmlichkeiten gewöhnt. Seit 1988 lebe ich im Westen, und es gibt bestimmte Errungenschaften der westlichen Zivilisation, die immer noch sehr attraktiv sind. Es gibt keinen anderen Ort der Welt, an dem man das gleiche Maß an persönlicher Autonomie erreichen kann.

Bevor Sie in den Westen gingen, sind Sie 1986 erst einmal nach Belgrad gezogen. Wie war das im Vergleich?

Es war viel besser. Sarajevo ist provinziell, eng – im Grunde war mit den ein, zwei Filmen, die ich dort gedreht habe, schon alles beschrieben. Belgrad dagegen ist eine Großstadt, welche die verschiedensten Aspekte des gesamten Balkans aufsaugt.

Sie meinen kosmopolitisch?

Ja. Und das hat für die Kultur ein Ferment geschaffen, das immer noch wirkt.

Trotz Milošević?

Trotz Milošević.

Wären Sie dieser Tage nicht gerne in Belgrad gewesen?

Nein. Ich habe zwei Tage großer Gefühle verpasst, aber jetzt herrscht dort wieder Alltag. Außerdem bin ich eher ein Mann der Vergangenheit – das Aktuelle interessiert mich nicht so.

Taucht deswegen in Ihren Filmen der Topos der „Zigeuner“ immer wieder auf?

Die Sache fasziniert mich einfach. Neun Millionen Zigeuner leben über ganz Europa verstreut. Sie haben es geschafft, die Industrialisierung und die nationalsozialistische Verfolgung zu überleben, und sie funktionieren noch immer als soziale Gemeinschaft.

Was ziehen Sie daraus für Ihre Filme?

Schauen Sie: Wenn ich Ihnen ein Mobiltelefon gebe, dann ist das nichts Besonderes. Aber wenn ich einen Zigeuner mit einem solchen Gerät ausstatte, dann elektrisiert das die Szene buchstäblich – es entsteht sofort eine Verbindung zur Vergangenheit. Das rührt daher, weil sich die Roma auf gewisse Weise unserer Welt verweigert haben.

Es ist nicht immer einfach, mit Roma zu drehen: Sie sind in der Regel keine Schauspieler. Trotzdem fühle ich mich in ihrer Umgebung irgendwie frei – frei von all den Neurosen und dem, was mein Leben so schlecht oder gut macht, wie es eben ist.

Entspringt die romantische Faszination eher Ihren Sehnsüchten als Ihrer Erfahrung?

Zum Teil ist das so. Aber es spielt auch eine Rolle, dass ich in einem Viertel von Sarajevo aufgewachsen bin, wo es eine große Roma-Minderheit gab. Als Teenager habe ich mitbekommen, wie die Roma zuerst rauchten, zuerst vögelten und all das taten, wovor wir zurückschreckten. Diese Zeit hat mich stark beeinflusst.

Aber ich erliege auch einer gewissen Romantik: Mir ist eine alte Leica immer noch lieber als eine Digitalkamera. Und mit der Musik ist es genauso: Ich mache lieber Analogaufnahmen. Den neuen Technologien stehe ich gegenüber wie ein Zigeuner.

Mit Goran Bregović, der die Musik zu mehreren Ihrer Filme geschrieben hat, haben Sie sich zerstritten. Warum?

Bregović ist einfach ein Dieb, ein Plagiator. Wir haben damals sehr gut zusammengearbeitet, er war vor allem ein guter Arrangeur. Aber können Sie sich vorstellen, was das für ein Gefühl ist, einen Film zu präsentieren und dann festzustellen, dass ein Teil davon geklaut ist? In „Time of The Gypsies“, unserem ersten gemeinsamen Film, baute er ein Zigeunerlied ein, das nicht von ihm war. Als ich es erfuhr, dachte ich, vielleicht kann er noch als Autor durchgehen – so wie ein DJ ja auch als Autor gilt. Aber als dann offensichtlich wurde, dass er sich aufs Stehlen verlegt hat, zog ich einen Schlussstrich.

Nachdem Ihr Film „Underground“ 1996 in die Kritik geriet, kündigten Sie an, nie mehr einen Film drehen zu wollen. War das damals ernst gemeint?

Das war sehr ernst gemeint. Ich habe mich damals gefühlt wie in Kafkas „Prozess“, nur dass dessen Figur nichts getan hatte. Ich schon: Ich wollte einen Beitrag gegen die allgegenwärtige Propaganda leisten, und dafür machte man mir den Vorwurf, Propaganda zu betreiben. Glücklicherweise haben mich die geschichtlichen Ereignisse bestätigt.

Besonders viel Kritik haben Sie in Frankreich und Deutschland erfahren . . .

Das sind die Nachwirkungen von 1968. Die Achtundsechziger sind heute fast überall an der Macht und geben insbesondere in Frankreich und Deutschland den Ton an. Diese Leute hasse ich am meisten – diese Leute, die früher Peace-Fahnen geschwungen haben und heute die eifrigsten Parteigänger der gegenwärtigen und zukünftigen Weltordnung sind. Sie reden von Freiheit, und dann haben sie in diesem kleinen Acht-Millionen-Volk das absolut Böse ausgemacht.

Sie haben in Ihrem Film auch die Kollaboration der Kroaten im Weltkrieg angesprochen . . .

Dafür haben sie mich gehasst. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass Hitler 1941 bei seinem Einmarsch in Zagreb bejubelt wurde, während später in Belgrad niemand auf die Straßen ging. Dafür habe ich Originalfilmmaterial verwendet, das in Exjugoslawien zum ersten Mal gezeigt wurde. Ich wollte zeigen, wie es historisch war – nicht sagen, wer gut oder böse ist. Das mache ich in meinen Filmen nie.

Können Sie sich vorstellen, noch einmal eine politische Allegorie wie „Underground“ zu drehen?

Ich denke nicht. Um so einen Film zu drehen, braucht man einen guten Grund – man muss von der Geschichte und den Ereignissen angetrieben sein. Ich stehe hinter den jüngsten Entwicklungen in Serbien, aber ich bin nicht Teil davon. Nach dieser sinnlosen bosnischen Geschichte habe ich aufgehört, politisch zu sein. Das ist seit drei oder vier Jahren das erste Mal, dass ich mich so offen zu Politik äußere.

Ich habe 1990 gesagt, dass die Zerschlagung Jugoslawiens ein Fehler war, und diesen Standpunkt halte ich auch heute noch. Bosnien und Makedonien sind heute Protektorate, Serbien und Montenegro nicht. Deswegen sehe ich die historische Idee des Jugoslawismus, die zwischen diesen beiden Republiken noch immer existiert, positiv. Es ist viel besser, im eigenen Staat zu leben als in einem Land, das dem militärischen Oktroi der Großmächte dient.

Wahrscheinlich fühlen sich die Politiker im Westen nach den Ereignissen in Serbien bestätigt, dass sie mit diesen dummen Bombardierungen Recht hatten. Aber auch die Leute, die für Koštunica sind, hassen sie deswegen. Und die Nato, die all diese Massaker veranstaltet hat, muss jetzt gegen die Albaner kämpfen.

Würden Sie sich als eine Art Anarchist bezeichnen?

Ich habe mich nie für einen Anarchisten gehalten, aber ich bin einer. Aber ich weiß auch: Sie werden uns in einen Zoo stecken. In fünfzig oder hundert Jahren wird diese Zivilisation von zwei großen Banken beherrscht werden. Ich habe den Kommunismus bekämpft wegen der Uniformität, die er den Leuten auferlegte. Aber vor dieser zukünftigen Welt habe ich noch viel mehr Angst, trotz all der Vorteile.

Sollen Ihre Filme und Ihre Musik einen Widerstand gegen diese Uniformität artikulieren?

Sicher – ästhetisch gesehen ist das, was wir machen, ziemlich anarchistisch. Aber ich bin kein Anarchist, der politisch gegen das System kämpft – ich sympathisiere allenfalls damit.

Haben Sie keine Angst, als Exot vom Dienst zu enden?

Das bin ich doch schon . . . mal nennt man mich einen Anarchisten, dann einen Exoten . . . (grinst)

Und das stört Sie nicht?

Ich bin überrascht, dass man mich überhaupt irgendwie nennt. Ich meide die Medien, so weit es geht, und nehme das, was ich mache, viel ernster als das, was ich sage. Ich bin bereit, für meine Filme zu sterben.

INTERVIEW: ANDREAS DIETL,

MARKUS BICKEL, DANIEL BAX

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