Zappelnde Käfer

Hilflos auf die Maschine Leben starren, nichts verstehen und weiterwanken: „Klaras Verhältnisse“ von Dea Loher am Thalia  ■ Von Petra Schellen

Matineen begeht sie vorzugsweise schweigend. Schüttelt mit Antworten wie „Lassen Sie sich überraschen!“ und „Erwarten Sie doch einfach gar nichts!“ Publikumsfragen ab wie lästige Fliegen. Dabei ist sie keineswegs oberflächlich, die Dramatikerin Dea Loher, deren Stück Klaras Verhältnisse heute am Thalia Theater erstmals in Deutschland aufgeführt wird.

Acht Stücke hat die im bayerischen Traunstein geborene, jetzt in Berlin lebende Dramatikerin schon geschrieben, etliche Preise und Hymnen eingeheimst, sodass der 35-Jährigen vielleicht tatsächlich nicht mehr sonderlich viel zu sagen bleibt. Außer in ihren Stücken natürlich, und die sind immer explosiv, beleuchten immer die Ausweglosigkeit des Einzelnen – das KZ-Schicksal einer jüdischen Kommunistin in Olgas Raum, die Tragik der Terroristin Ulrike Meinhof in Leviathan, zerstörerischen Inzest in Tätowierung.

Und doch behauptet sie, ihre Themen nicht absichtlich zu suchen, vergleicht die Themenfindeung gar mit der Vorliebe für Rindfleisch – vielleicht schon wieder eine Spitze gegen den Frager, der auf so Banales kam.

Banal scheint auch der Reigen der Hilflosigkeiten in Klaras Verhältnisse auf den ersten Blick, banal vor allem Klaras Job als Gebrauchsanleitungs-Verfasserin, der sie hindert, die Gebrauchsanleitung fürs eigene Leben zu finden. Und den sie hinwirft, um sich einzureihen in den Club derer – zufällig in ihrem Leben vorgefundene Freunde und Verwandte – die genauso viel Lust auf Veränderung haben und genauso hilflos auf die „Maschine Leben“ starren, an der hier und da ein Knöpfchen blinkt, ohne dass man wüsste warum.

Aseptisch angstfrei leben wollen zum Beispiel Gottfried und Irene, die ihr Dasein in feste Regeln eingeschweißt haben. Ob ihnen allerdings Klara, die Orgasmen als Ausdruck authentischen Lebens bezeichnet, wirklich überlegen ist, sei dahingestellt. In Sektionen eingeteilt wie Matheaufgaben hat Klaras Schwester Irene ihr Leben, es erträglich zu machen versucht auch die alternde, arbeitslose Elisabeth, die angesichts der Aussicht auf „30 Jahre bezahlte Freizeit“ – für sie das „Zwischenreich der Amnesie“ – selbstmitleidige Workaholic-Lamenti herunterleiert. Aber „als düster empfinde ich meine Stücke nicht“, beteuert Loher, die sich klar von der zur Schau gestellten Orientierungslosigkeit selbstverliebter Literaten abgrenzen will und für die Präsentation brisanter Themen auf der Bühne plädiert; das aktuelle Stück inszeniert allerdings nicht ihr Lieblingsregisseur Andreas Kriegenburg, sondern Mark Zurmühle.

Loher will weder moralisch noch didaktisch sein – aber vom Traum von einer gerechteren Welt handeln sollen ihre Stücke doch. Oder vielleicht eher vom Versuch einer Vision, deren Inhalt die Beteiligten selbst noch nicht kennen und den sie auch nie ergründen werden, weil ihnen materieller Müll (den Opportunist Tomas verwaltet) oder Sprachklischees – etwa aus Georgs Mund, der vorzugsweise mit abgegriffenen Männerphrasen operiert– die Sicht verstellt. Sie scheinen alle auf dem falschen Weg, die sekundenweise erwachenden Figuren, schaffen es nicht, biografische Verkrustungen loszuwerden und begreifen nicht, in wessen Leben sie überhaupt passen – zum Beispiel Gottfried, der von Liebe faselt, ohne auch nur in Klaras Gehörgang vorzudringen.

Dicht sind die glatt polierten Kunstdialoge, die jederzeit wieder zum berhnardschen Monolog zurück mutieren könnten und doch Sentenzen der Einsamkeit bleiben. Sensibel gesehen hat die Autorin die Angst der Frührentnerin vorm „Echtzeit-Albtraum“, scharf gestochen den Zyniker Georg gezeichnet, der Klara den „Pharma-Strich“ empfiehlt, für den sie eigentlich unbrauchbar ist, weil zu gesund.

Und so rät jeder jedem, wankt zu einem Gegenüber seiner Wahl, dem er die Kompensation seines Defizits – an Mut, Lebensfreude, Geld – zutraut, ohne dass der Aufbruch je tatsächlich gelänge: Die selbst gestrickte Gebrauchsanleitung funktioniert nicht, lässt nur das Gerät explodieren – bzw. Klara sich umbringen, weil sie mit dem Leben, das ein fremdes blieb, nicht fertig wurde. Und am Ende zappeln alle – in kurzfristig neuem Pseudoglück verpaart – wie hilflose Käfer auf dem Rücken. Warum sie nicht auf die Füße kommen? Dafür hätten sie wahrscheinlich als Vögel geboren werden müssen.

Premiere heute, 20 Uhr, Thalia Theater