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Schlaflose Nächte für den Beat

■ Label Porträt Nr. 9: Je härter und grausamer die Musik, desto freundlicher und aufopferungsbereiter sind die Menschen, die sie machen oder vertreiben. Dies gilt auch für die Chefs des Hardcore-Labels „Chrome Saint Magnus“

Nachdem wir bei unserer Label-Rundreise durchs Ländle wider Erwarten auf zwei seit langem stabil arbeitende und auch wirtschaftlich erfolgreiche Firmen (Bear Family und CrossCut) gestoßen sind, ist heute ein Label an der Reihe, das unkommerziell funktioniert und noch im Babystadium steckt. Es ist gerade mal ein halbes Jahr her, dass Gregor Iwanoff und Dirk Kusche zum ersten Mal voller Stolz CDs in der Hand wiegten, auf deren Hüllen ein Adlerflügel flattert. Dieser Flügel bildet das Emblem von „Chrome Saint Magnus“; Saint Magnus nicht wegen Tendenzen zur hemmungslosen Selbstvergötterung, sondern weil dort, in St. Magnus/Bremen-Nord, Gregors Eltern wohnen; und die müssen feste Postadresse spielen, da die dauerhafte Sesshaftigkeit der zwei jungen Chrome-Chefs doch eher in Frage steht.

Unter den Adlerfittichen soll ausschließlich jene Sorte Musik Schutz finden, die einer Welt voll simulierter Eintracht und Heiterkeit ein düsteres Grollen entgegenrülpst, gemeinhin bezeichnet als „Hardcore“: Zwei liebliche Silben, mit denen sich eigentlich schon alle weiteren Angaben über Beweggründe, Profitchancen und Arbeitsweise des Labels erübrigen. „Die Szene ist sehr klein“, sagt Gregor, „und sie hat wenig Geld“, ergänzt Dirk, „an Profit ist nicht zu denken“, wieder Gregor, „die Szene ist sehr korrekt“, Dirk, „es ist ein Ding von Fans für Fans“, Gregor, „wenn wir allerdings auf andere Musik stehen würden, mit der man auch Geld verdienen könnte, hätten wir aber nichts dagegen“, Dirk.

Wie viele Freunde des Hardcore sind Gregor und Dirk zwei überaus angenehme, bescheidene, höfliche Menschen, die auf die Frage ,Brühkaffee oder Nescafé?' lieber den Nescafé nehmen, um keine Umstände zu machen. Auch treten sie nicht hervor durch die Schändung von Kinderleichen. Im Gegenteil. Gregor arbeitete bei seinem Zivildienst mit Behinderten und danach ein Jahr bei verschiedenen sozialen Einrichtungen, unter anderem an einer Gehörlosenschule. Und Dirk, 30 Jahre alt, steht kurz vor seinem Examen als Grundschullehrer. Eigentlich schrieb er sich ja für das Lehramtsstudium vor allem deshalb ein, um kostenlosen Gitarrenunterricht zu bekommen. Irgendwann kam er nicht umhin zu bemerken, dass ihn klassische Gitarrenmusik gar nicht interessiert. Auch für seine Tätigkeit als Bassist bei den Deathmetallern „Systral“ waren die akademischen Fingerübungen wenig fruchtbringend. Dafür begeisterten ihn die Kids und die Tätigkeit des Unterrichtens um so mehr.

Trotzdem schwankt er noch zwischen einer Existenz als Beamter und einer als Musikproduzent. Es war vor sieben Jahren, als er sich die ersten Equipmentbrocken einer Studioausrüstung zulegte. Mittlerweile hat er sich in der Core- und Metalszene zwischen Allgäu und Belgien als Produzent etabliert. Und diese Tätigkeit als Soundbastler und Herr der Regler, wo er mit dem Verkauf nichts zu tun hat, bringt im Unterschied zur Labelarbeit sogar Cash, etwa 600 Mark für eine Schnellschuss-Single, etwa 3.000 Mark für eine ausgefeiltere CD. „Doch das ist alles lowfi.“ Um seinen eigenen Vorstellungen von Professionalität zu entsprechen, müsste Dirk in Technik investieren. Und die ist in Zeiten permanenter Innovation gefräßig. „Kaum hat man den Laden verlassen, sind die erstandenen Geräte nur noch die Hälfte wert.“

Gregor, 24, sieht unschuldig wie ein frischgeschlüpftes Küken aus und hat doch die vermaledeite Sache mit dem Rockmusikertraum längst hinter sich gebracht, und zwar sauber und würdevoll. Mit bartlosen 15 Jahren folterte er die Trommeln bei den Hardcorern „Acme“ mit dem Endziel, einmal im Leben auf einer echten Bühne zu stehen. Vier Jahre später löste sich die Band auf, nachdem man in den USA – nur so zum Beispiel – für 14.000 CDs Liebhaber fand (das ist sehr viel) und sich durch kräfteverschleißende Touren einen Ruf errackert hat, der es Gregor erlaubt – auch nur so zum Beispiel – in der Szene all around the world durch den schlichten Satz ,Hallo, ich bin Gregor von Acme' Respekt und Aufmerksamkeit zu erheischen. Da passiert es schon mal, dass eine E-mail aus Indonesien beatleomanisch anfragt, ob es denn stimme, das Acme kurz vor der Wiedervereinigung stünden. Stimmt nicht. Immerhin bewirken Gregors exquisite Credits als Musiker, dass „Chrome Saint Magnus“ bei Hardcorern renommierte Bands („Breach“ aus Schweden, „Cave-in“ aus Boston, „The Dillenger Escape Plan“ aus New York, „Damnation AD“ aus Washington) gewinnen konnte, um sie demnächst unter ihrem Dach zu veröffentlichen.

„Eigentlich haben wir das gar nicht verdient. Wir wissen doch noch gar nicht so genau, wie man ein Label führt“, meint Gregor. Was ein wenig untertrieben ist, denn durch die vielen Jahre als Musiker beziehungsweise Produzent sind viele Kontakte bereits geknüpft. Und auch das unverzichtbare Quentchen Zynismus ist da: So hat man viel Mühe verwandt auf die Gestaltung von Visitenkarte, Briefkopf und hymnischen Pressetexten, um zum Schein das vorwegzunehmen, was dem neugeborenen Label an Sein NOCH abgeht. So preist man etwa die Erstlings-CD der Schweizer „Knut“ mit ironischem Augenzwinkern als „Europe's No. 1 Killing Machine“. Frech. Aber dieses Posen scheint zu wirken, was Gregor eher lustig findet, „Dirk aber peinlich ist“.

Die Kosten für eine CD-Produktion liegen in der Größenordnung um 9.000 Mark. Schulden nimmt man allerdings nicht auf für die fünf CDs, die es im nächsten halben Jahr zu stemmen gilt, „das würden wir niemals tun“, meint Dirk. „Aber wir geben alles, was wir haben“, ergänzt Gregor, und dieses „alles“ beinhaltet neben monetären Ressourcen auch jede Menge psychische. „Im Unterschied zum Musikerdasein hat man bei der Labelarbeit sehr viel Verantwortung zu tragen, und ich verbringe manche schlaflose Nacht grübelnd über die Organisierung des Vertriebs.“ Beim Vertrieb differieren Kooperationsart und -partner von Land zu Land. Mal wird getauscht, mal können Produktionskosten weitergegeben werden, in Amiland wird neu gepresst, aber das ist viel zu verfrickelt, um hier aufgeschrieben zu werden.

Die schlaflosen Nächte sind Hobby, Luxus, Leidenschaft. Gregors Unternehmungen in Sachen Daseinssicherung: Nach seinen diversen sozialen Diensten hatte er die lustige Idee Sportwissenschaft zu studieren, obwohl er null Sport macht (was man ihm wirklich nicht ansieht). Mannschaftssport findet er doof, „aber Physiologie ist richtig spannend“. An der Uni Köln gab es gerade mal zwei Kommilitonen mit ähnlicher Denkungsart, „was natürlich ein Debakel war“. Egal. Denn seit seinen Erfahrungen als Labelchef will er sein Geld in der Musikbranche verdienen – als Journalist oder im Marketing – und macht deshalb bei Viva 1 ein Praktikum. Jetzt weiß er zum Beispiel, dass Viva-Moderator Niels Ruff noch immer mit Anke Engelke geht, was Gregor natürlich nicht die Bohne interessiert, wie ihn überhaupt die Viva-Sendungen nicht die Bohne interessieren. „Das kann man sich wirklich nicht angucken. Aber die Arbeit an sich macht richtig großen Spaß.“

Befragt man Gregor nach seinen musikalischen Vorlieben, schockt er mit einem lässig hingeworfenen „Reinhard Mey“, was eigentlich nur meint, dass er nichts grundsätzlich ausschließt und auch bei Michael Jackson oder Paul Simon fündig werden kann. „Nichts ist trauriger, als erwachsene Menschen, die an ihren jugendlichen Vorlieben kleben bleiben und nichts Neues mehr hören wollen.“ Auch Dirk kann sich für vieles erwärmen, besonders ausgerechnet für easy listening.

Warum ihre wahre große ewige Liebe trotzdem der Musik des geheiligten Zorns gilt, wissen sie nicht so genau. „Vielleicht, weil die Leute, die sich in dieser Szene herumtreiben, überaus nett sind.“ Das sagen beide. Zum Thema nett noch dies: Die erste Band, die Chrome produzierte war Dirks eigene Band Systral. Das Booklet ist grafisch äußerst geschmackvoll gestaltet, so mit schummrigem Totenkopf und allem, nur die Namen der Musiker tauchen nicht auf. „Das haben wir wohl vergessen, aber das ist irgendwie auch nicht so wichtig.“ bk

E-mail: SAINTMAGNUS@GMX.DE ; Hompage in Vorbereitung unter www.chromesaintmagnus.com ; Postadresse: Am Bahnhof St. Magnus 10, 28759 Bremen.

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