: Jetzt wird auch an den Bremer Toten gespart
■ Wieviel sind Bremen seine namenlosen Leichen wert? Sparen ist auch beim letzten Gang angesagt / Bestatter sind sauer auf Gerichtsmedizin – wegen Geld und Ethos
Der Tod ist umsonst. Was dann auf Erden folgt, aber nicht. Darum streiten jetzt die Bestatterszene und das Institut für Rechtsmedizin. Objekt der Begierde: Rund 200 Anonyme von insgesamt etwa 7.000 Toten pro Jahr. Wenn ein Mensch stirbt und keiner kennt ihn, bezahlt der Staat die Beerdigung. 800.000 Mark hat Bremen im vergangenen Jahr für 190 Tote ohne Angehörige ausgegeben – „Anordnungen“ heißen diese Fälle im Amtsdeutsch, weil ihre Bestattung vom Amt angeordnet wird. Nach dem Gießkannenprinzip werden Bestatter benachrichtigt, die den Toten aus dem Institut für Rechtsmedizin, wo er zehn Tage bleibt, abholen, die Beisetzung erledigen und dann mit dem Sozialamt abrechnen.
Nun soll das Institut die „Anordnungen“ komplett übernehmen – für viel weniger Geld. Ein Referententwurf des Bremer Gesetzes über das Leichenwesen, das den Umgang mit solchen Fällen regelt, steht bereits.
Institutsdirektor Michael Birkholz hat angeboten, die „herrenlosen Leichen“ (Birkholz) für nur 600.000 Mark pro Jahr zu versorgen und zu bestatten. Er sagt offen, dass er Kapazitäten frei hat. Die Zahl der Obduktionen sinke, er habe ein Institut – aktueller Jahresetat: etwa zwei Millionen Mark – am Leben zu erhalten.
Doch es sind nicht nur unterbeschäftigte Angestellte, die Birkholz Dumping-Preise erlauben. Bei „Anordnungen“ soll mit dem neuen Gesetz auch Feuerbestattung möglich sein. Die ist wegen des kleineren Grabes viel billiger. Bisher war Erdbestattung vorgesehen. Denn keiner kann wissen, ob der Gestorbene nicht auf jeden Fall erdbestattet werden wollte.
Die Bremer Bestatter wollen keine Öffentlichkeit in der Sache. Sie beteuern, es gehe um mehr als ums Geld. Ums Ethos nämlich. Ein Gerichtsvollzieher sei nun mal kein Bestatter. Sie misstrauen dem Bestatter in spe Birkholz, werfen ihm vor, sich nicht intensiv genug auf die Suche nach Angehörigen zu machen. Das Institut meldet die Fälle dem Nachlassgericht und der Polizei. Bestatter hingegen kümmerten sich oft sehr viel intensiver, sagen sie selbst, befragten Nachbarn und die Kirche. Nachvollziehbar: Finden sie Angehörige, steigt die Chance auf ein Geschäft, das mehr bringt als nur den Sozialsatz.
Die Bestatterin und Sozialwissenschaftlerin Cordula Caspary nennt Bestattung jedoch auch eine „psychosoziale Aufgabe“, die mehr sei, als einen Menschen zu entsorgen. 200.000 Mark zu sparen an den Toten, „die eh' keinen interessieren“, das regt sie besonders auf: „Da wird die Menschenwürde unter ökonomische Erfordernisse gestellt.“
Überhaupt, fragt sie, warum wird Birkholz' Institut, das zum Eigenbetrieb Zentralkrankenhaus Sankt-Jürgen-Straße gehört, so bevorzugt, warum werden die „Anordnungen“ nicht ausgeschrieben? Das, heißt es aus dem Sozialressort werde noch geprüft, der Entwurf sei noch in einem frühen Stadium. Aber Caspary wittert mehr. Die Neufassung des Gesetzes wird der Gerichtsmedizin auch erlauben, über eine Obduktion der Namenlosen letztendlich selbst zu entscheiden. „Die schaffen sich ihre Fälle selbst“, argwöhnt Caspary. Das bestreitet Birkholz: Obduziert werde nur, wenn es Anhaltspunkte für nicht-natürliches Geschehen gebe. Überdies kassiere sein Institut dafür nichts.
Doch dass es um mehr geht, vermuten auch andere. „Er baut sein Imperium aus“, sagt Matthias Brettner vom Antirassismus-Büro, dem Birkholz als Chef des ärztlichen Beweissicherungsdienstes bekannt ist. Birkholz versuche, vermutet Brettner, alle ärztlichen Tätigkeiten an sich zu ziehen, für die Bremen Geld ausgebe.
„Feierliche Beerdigung des Freimarktes am Sonntag“, meldete die Senatspressestelle gestern. Wenigstens damit wird Birkholz nichts zu tun haben. sgi
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