Kein Heimspiel, aber Sieg für die Regierung

Wenig fundierte Kritik: Bei Streitgesprächen zu ihrer Halbzeitbilanz zeigen sich die Bundesminister den Vertretern der Wirtschaft überlegen

BERLIN taz ■ Hans-Olaf Henkel fühlt sich „wie im Kolosseum im alten Rom“. Gerade hat der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) Arbeitsminister Walter Riester (SPD), „vor die Löwen geworfen“. Ein Scherz natürlich. Die beiden befinden sich im Berliner Abgeordnetenhaus, und die hungrigen Tiere sind bloß Makler, Verleger und Sparkassenchefs – allesamt Lobbyisten der großen Wirtschaftsverbände, die sich hier zur Sitzung des Gemeinschaftsausschusses der Gewerblichen Wirtschaft versammelt haben.

Henkel, Chef des Ausschusses, hat an diesem Mittwochabend zur Halbzeitbilanz der Regierungspolitik geladen. Der Kanzler ist gekommen und hat vier Minister mitgebracht, die sich in vier Streitgesprächen den Verbandschefs stellen sollen. Mann gegen Mann. Beziehungsweise die eine Frau. Allein Gerhard Schröder lässt die Auseinandersetzung aus. Sie ist unter der Würde eines Kanzlers.

So tragen die beiden Chefs einfach nacheinander vor. Henkel attestiert der Regierung eine „widersprüchliche Bilanz“, lobt wenig, kritisiert heftig. Schröder tut, was er am liebsten tut: Er stellt sich als Vermittler dar zwischen Gewerkschaften, Parteien und eben der Wirtschaft.

Doch es ist kein Heimspiel für den Kanzler. Auch wenn Henkel an den „Genossen der Bosse“ appelliert, gegen Riester, Eichel oder Trittin durchzugreifen. Aber sonst attackiert er Schröder auch persönlich: „Das nur pragmatische Springen von Holzmann über die Green Card hin zur Entfernungspauschale genügt nicht.“ Der Satz muss den Kanzler ärgern, doch da er nicht im direkten Streit ist, kann er ihn ignorieren und selbst einen Witz machen: Klar habe er noch nicht genug erreicht. „Was sollten wir sonst die nächsten 10 Jahre tun?“

Als erstes muss nun Innenminister Otto Schily (SPD) gegen DIHT-Präsident Hans-Peter Stihl antreten. Beim Thema „Schlanker Staat“ schläft Stihl fast über seinem Pult ein. „Herr Stihl“, sagt Schily schließlich. „Wir sind als Streitgespräch angekündigt, aber was Sie bisher gesagt haben, bringt uns nicht zum Streit.“ Die Runde geht an ihn.

Bei Arbeitsminister Riester und Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt entwickelt sich Stimmung. Wer taugt besser als Feindbild als der Arbeitsminister? Hundts Vorwürfe münden in dem Satz: „Die deutsche Wirtschaft steht geschlossen gegen die Novellierung der Betriebsverfassung.“ Mehr Mitbestimmung, Anspruch auf Teilzeitarbeit, das gefällt keinem Arbeitgeber. Das Publikum applaudiert. Doch Riester lässt sich nicht einschüchtern, nimmt die Kritik auseinander. „So was ist gar nicht geplant“, kann er Hundt mehrfach nachweisen. „Sie bauen einen Popanz auf.“

Auch die dritte Runde gehört der Regierung: Im Streitgespräch mit Handwerksverbandschef Dieter Philipp stellt sich Wirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) als verlängerter Arm der Wirtschaft im Kabinett dar. Und doch geht er zwischendrin als Einziger unter den Politikern in die Offensive, kritisiert die Wirtschaftsbosse: Dass sie zwar stets über zu viel Regulierung klagten, selbst aber nach ihr riefen, wenn es ihnen in den Kram passe. Philipp nervt dagegen mit einer ewig wiederholten Plattitüde: „der Mittelstand zieht den Karren“. Selbst Gastgeber Henkel macht sich anschließend über Philipps Phrase lustig.

Die letzte Runde zwischen Handelslobbyist Michael Fuchs und Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) bleibt zwar höflich, aber entsprechend langweilig. Der Abend geht an die Regierung. Sie hat gewagt – und gegen die mit Ausnahme von Henkel blassen Verbandspräsidenten gewonnen. MATTHIAS URBACH