: Ich bin’s! Endlich! Die echte Luci!
Vom rastabezopften Girlie zur Boheme-Chansonette: Luci van Org hat sich wieder einmal neu erfunden. Der Image-Relaunch wirkt etwas angestrengt, kann jedoch Ben-Becker-Fans, S/M-Anhänger und andere kultivierte, versaute Menschen überzeugen
von STEPHANIE GRIMM
Vor 15 Jahren hat Luci van Org zum ersten Mal für einen Auftritt Geld bekommen. Seither verdient sie ihren Lebensunterhalt mit Schauspielen, Moderieren und – am allerwichtigsten – dem Singen. So früh angefangen und dennoch so lange durchgehalten zu haben ist natürlich ein Grund zum Feiern: Immerhin machen die Bühnenjahre bei Luci van Org knapp mehr als die Hälfte der eigenen Lebenszeit aus. Da scheint es glaubhaft, dass es ihr ernst ist mit der Kunst. Und bewiesen, dass sie durchaus in der Lage ist, sich öfter mal neu zu erfinden.
Anlässlich ihres Jubiläums gab die Künstlerin zwei Konzertabende in Ben Beckers Bar Trompete am Lützowplatz. Was sie dort präsentierte, war definitiv eine Überraschung – zumindest, wenn man ihren Werdegang nicht en détail verfolgt und immer noch das Image vom rastabezopften, „Mädchen“ trällernden Lucilectric-Girlie im Kopf hat. Der Ort der Veranstaltung war klug gewählt – die Bar ist Treffpunkt der Berliner Boheme, und die ist auch Zielgruppe der neuen Luci van Org. Dass diese Boheme hauptsächlich aus der mittlerweile ganz schön unschick wirkenden Frontstadt-Schickeria besteht, die gerne mal Anzug mit Schlapphut oder Schiebermütze kombiniert und dicke Zigarren raucht, passt – schließlich versucht auch Luci van Org mit ihrem neuen Image an die Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts anzuknüpfen. Eine Epoche, die für sie Modellcharakter hat, weil damals „kultivierte, versaute Menschen“ zusammenkamen. Solche Menschen will sie auch zusammenbringen. Und das klappt ganz gut an diesem Abend, denn neben Hipstern und Anzugträgern kommen auch Spandauer Sekretärinnen und Leute aus der S/M-Szene.
Einen Tag später erzählt Luci am Telefon, dass sie „Gefühlsbrote backen“ und „die Leute mitnehmen will auf eine innere Reise“. Ein Bedürfnis nach „Ernsthaftigkeit“ treibe sie an, echte Gefühle wolle sie den Menschen zurückgeben, und zwar vielen verschiedenen Menschen. Ein Image-Relaunch vom Girlie zur Boheme-Chansonette – zumindest in der Trompete scheint das zu funktionieren. Die Leute sind bereit, gefühlig zu sein und sich becircen zu lassen. Luci van Org bedankt sich artig, dass sie „jetzt und hier ihre Träume verwirklichen darf“. Die Musik passt in die Bar und sie ist schön. Perfekt und glatt, von einer professionellen Band und Co-Sängerin unterstützt. Ein bisschen Jazz und amerikanischer 40er-Jahre-Schlager, etwas Chanson, ein Rest Pop.
Das Modell Ute Lemper, könnte man denken, doch genau deren Ästhetik möchte sie nicht zu nahe kommen. Allzu gefällig soll es nicht sein, und so trägt Luci Latex statt Abendkleid beziehungsweise Latex als Abendkleid. Auf der Leinwand hinter der Bühne laufen abstrakte Kunstvideos. Immerhin: Lucilectric, ihre wohl bekannteste und auch erfolgreichste künstlerische Inkarnation, scheint vergessen.
Abstand zu schaffen von der demonstrativen Girlie-Naivität damaliger Tage und von ihren durchschnittlich 12-jährigen Fans ist Luci van Org heute einige Mühe wert. Leicht war es nicht, sich aus der Schublade zu befreien, und so signalisiert ihre neue Künstlerpersona heute sicherheitshalber möglichst große Distanz. Mondän und etwas verrucht gibt sie sich, sexuelle Ambivalenz und Referenzen an die S/M-Kultur inbegriffen. Im Sommer zierte sie das Cover des Fetischmagazins Marquis, und bei ihrem Internetauftritt nimmt die Fotogalerie und die Animation „slave dog“ viel Raum ein. Mit Stolz verweist sie darauf, dass ihre Websites (www.lucivan.org und www.virtual-volume.com) sich hoher Besucherzahlen erfreuen.
Sowohl was die künstlerische Selbstdarstellung als auch was die Vermarktung ihrer Musik angeht, glaubt Luci an das Internet. Im Moment veröffentlicht sie beim ersten deutschen Online-Plattenlabel „virtual volume“. Dort findet man Luci van Org neben Bands mit Namen wie Kopfnuss 1a und Bang Bang Club, und das Demokratische an einer solchen Plattenfirma findet sie gut. Auf ihre künstlerische Eigenständigkeit und auf die Unabhängigkeit von den Strukturen der Musikindustrie legt sie viel Wert nach ihrem langen Weg. Von Eeena – ein Name, unter dem sie es immerhin bis auf den Soundtrack von „Go Trabi Go“ geschafft hatte – bis zu Lucilectric.
Endlich das eigene Ding machen, das ist ihr wichtig, und da wird sie selbstverständlich auch im Gespräch nicht müde zu betonen, wie authentisch, wie sehr „die echte Luci“ sie jetzt ist. Ein bisschen angestrengt für einen lustvollen Befreiungsschlag wirkt das bisweilen. Aber irgendwie ist es ja auch beruhigend, dass selbst das klebrigste Image genug Raum für so eine radikale Neuerfindung bietet.
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