piwik no script img

Urlaub vom Herbst in der Kaffeebar

Im Herbst kann man in der Welt der Berliner Kaffeebars warme Ferien machen. Auch hier dreht sich indes alles um das schwierige Verhältnis von Männern und Frauen. Schnappschüsse aus modernen Kaffeehäusern

Eine Milchaufschäumdüse schnorchelt herzlich im Hintergrund. Fürs Straßenkino sorgt die Fensterscheibe.

von KIRSTEN KÜPPERS

In der flexibilisierten Dienstleistungsgesellschaft hat niemand Zeit.

Die Menschen müssen ins Büro, auf die Baustelle oder zum Arbeitsamt.

Ohne täglichen Urlaub hält das keiner durch.

In diese Marktlücke stößt derzeit ein Zweig der Genussmittel-Gastronomie.

In der Großstadt eröffnen jetzt überall neue Kaffeebars.

Südliches Klima zieht damit ins kalte Berlin.

Die modernen Kaffeehäuser bieten schnelle Pausen an Stehtischen.

Ihre Produkte schaffen Ferienillusion. Länder wie Brasilien, Guatemala und Mexiko sind als Meisterröstung im Angebot.

Und natürlich Italien. Das Lieblings-Reiseziel der Deutschen.

Proviant sind amerikanische Backwaren.

Die Ausflüge in die Berliner Kaffee-Bars sind kurz, liefern aber das ganze mediterrane Erlebnis: Draußen greift der Herbst an, auf der Kaffeeinsel ist es angenehm warm.

Lebensstil kommuniziert sich durch gepflegtes Interieur.

Eine Milchaufschäumdüse schnorchelt herzlich im Hintergrund.

Für Straßenkino sorgt die große Fensterscheibe.

Die Begegnungen in der Bar sind indes flüchtig.

Zwar sind auch großstadtböse Menschen in der Kaffeepause privat.

Aber jeder bleibt nur auf einen Kaffee.

Espresso Nummer eins

Vom Bezirk Prenzlauer Berg heißt es in Berlin-Reiseführern, er sei ein Künstlerviertel. Die Frau, die im „Coffee-Star“ ein Bagel-Sandwich frühstückt, trägt eine dementsprechend ausgeflippte Brille. Der Brillendesigner war vermutlich auf halluzinogenen Pilzen, als er das Gestell entwarf. Die ahornblattförmigen Brillengläser hängen an einem Miniaturbaumstamm.

Die Brillenträgerin hat eine Kollegin dabei, der sie erzählt: „Männer können keine Lampen anschließen.“ Sie nimmt einen Schluck von ihrem Cappuccino.

Espresso Nummer zwei

Ein Cappuccino hat 33 Gramm weniger Fett als ein Eiskaffee, steht in einem Fit for Fun-Heft, das in der Kaffee-Bar „Salotto“ gegenüber ausliegt. Weiter heißt es: „Der dickste Mensch der Welt war eine Frau. Die Amerikanerin wog 544 Kilogramm.“

Sie war damit um einiges schwerer als der weltweit dickste Mann, machte aber Diät und verlor 400 Kilo. Von den Schwarzweißfotos an den Wänden des „Salottos“ grüßen Capuccino trinkende Italienerinnen. Zwei stramme Latzhosen-Handwerker gehen trotzdem lieber zu „Toni’s Snack“ nebenan. Hinter der braunen Glastür gibt es Spielautomaten und bulgarische Spezialitäten. Der Kaffee kostet nur eine Mark.

Espresso Nummer drei

Nach Fit for Fun sieht auch das Publikum der „Segafredo“-Bar im „Gesundbrunnencenter“ nicht aus. Das „Gesundbrunnencenter“ ist eines der größten Einkaufszentren der Stadt und steht im Bezirk Wedding. Umgeben ist das Center von hohen Wohnblocks aus den 60er- und 70er- Jahren. In der „Segafredo“-Bar läuft Italo-Rock.

Alle Gäste rauchen. Kaffee ist hier kein Ausdruck von Lebenstil, sondern Wachmacher. Ein unrasierter Mann liest eine albanische Zeitung. Eine Rentnerin versucht ihr Handy zu programmieren.

Heitere Gelassenheit vertrömen zwei Schule schwänzende Mädchen, die sich ihre Urlaubsflirts erzählen. Eine sagt immer wieder: „Dabei war ich gar nicht besoffen.“ Ein graugesichtiger Mann hebt seine Tasse zum „Prost“. Vor der Fensterscheibe parkt ein Reinigungslastwagen der „Graffiti Helpline“.

Espresso Nummer vier

Im Untergeschoss des Gesundbrunnencenters kämpft ein „Eduscho“-Laden ums Überleben. „Alle Kaffeespezialitäten heute 2 DM pro Pfund billiger“ steht auf einem Schild. Die traurige Verkäuferin versteckt sich hinter einem Berg Raffrolos. Eigentlich fing die Kaffeebar-Bewegung mit den „Eduscho“-Fillialen an.

Espresso fünf

Die Besucher der „Espresso Bar“ am Hackeschen Markt im Bezirk Mitte haben „Eduscho“ längst ihren Müttern und Vätern überlassen. Zum Kaffeetrinken sind sie mit neuen Büchern unterwegs: Slavoj Zizek, Rainald Götz oder Jeremy Rifkin. Auch ohne diese Autoren weiß man hier, dass die Welt schlecht ist. Eine Filmemacherin sagt: „Koksende Webdesigner mit Schlangenledergürteln sind unberechenbar.“

Eine Schauspielerin nickt. Sie lästert über eine blondierte Frau im Kuhfellmantel und bestellt ein Nussciabatta-Sandwich mit Mortadella. Draußen fährt ein Junge mit einem Kickbord-Roller vorbei. Andere Passanten machen beim Gehen mit ihrer modischen Synthetikkleidung raschelnde Geräusche.

Kaffeebars haben nie Toiletten. Auf dem WC im Restaurant nebenan laufen Walgesänge über Lautsprecher.

Espresso Nummer sechs

Walgesänge gelten in der Welt des „Einstein“ vermutlich als esoterisch. Hier läuft nur leiser Jazz. Die Kaffeebar passt sich streng in die steinernen Fassaden der Friedrichstraße ein. Marmor und Holz der Thekenflächen sind dunkel. Die Wichtigkeit der Büros der Umgebung ragt geschäftig in den Gastraum herein und verleiht dem „Einstein“ gediegene Kantinenatmospäre.

Männer in Nadelstreifenanzügen lesen die FAZ oder das Handelsblatt. Zwei Frauen reden über den neuen Vorstandsvorsitzenden. Nur wenige können abschalten. Ein Fotograf behauptet, Frauen wollen Liebe, Männer wollen immer nur Sex. Außerdem stimme es nicht, dass Männer keine Lampen anschließen können.

Espresso sieben

Ebenfalls inmitten von neuer Berliner Geschäftsleute-Architektur – am Potsdamer Platz – betreibt die Firma „Tchibo“ eine Kaffeebar. Vor dem Eingang wird ein männliches Model fotografiert. Passanten bleiben stehen.

Drinnen gibt es keinen koffeinfreien Kaffee. Zwei Palästinenser, die ansonsten vor dem Sony-Center die Berliner Zeitung an Touristen verteilen, machen gerade Zigarettenpause samt starkem Kaffee. Auch sie reden über Männer und Frauen. Einer sagt „Frauen sind zickig. Ihr Herz ist schnell.“ Seit er viele Affären mit verheirateten Frauen gehabt habe, wisse er, „in Deutschland gibt es keine Liebe“. Sein Kollege verabschiedet sich mit einem Zwinkern.

Espresso Nummer acht

Honoré de Balzac war ein französischer Schriftsteller. Er gilt als Schilderer der nachnapoleonischen französischen Gesellschaftdamen und -herren. „Balzac“ heißt auch eine Kaffee-Bar im westlichen Stadtzentrum Berlins. Vom Fensterplatz kann man auf die rostbraun verspiegelte Fassade des Erotik-Museums gucken oder die Baustelle des ehemaligen Café Kranzler am Kurfürstendamm beobachten.

Hier gibt es endlich koffeinfreien Espresso. Nur die Liebe ist schlecht. Eine Opernsängerin klagt: „Ich hab den ganzen Sommer wegen ihm durchgeheult.“ Ihre Freundin erzählt von einem Jungen, der ihr im Kung-Fu-Training ein blaues Auge geschlagen hat. Wenig Hoffnung gibt es auch am Nebentisch. Das schwarz gekleidete Teenager-Pärchen hat sich bisher nur freudlos angeschwiegen. Neben den Kaffeetassen liegt ein Berliner Stadtplan.

Kaffee Nummer neun

Acht Tassen Espresso machen wach und Lust auf mehr. Am nördlichsten Rand des Bezirks Friedrichshain gibt es jedoch keine Espressobar. Nur Filterkaffee und Cappuccino mit Sahne in der Gaststätte „Willy Brasch“. Die übrigen Gäste, die an der Theke stehen, trinken Kirsch-Whisky oder Bier.

Wer hier das Lokal verlässt, klopft auf den Tisch und kriegt von anderen Lederjacken ein „Bis zum nächsten Mal“ hinterhergerufen. Bei „Willy Brasch“ buchstabiert sich das komplizierte Verhältnis zwischen Männern und Frauen offen und einfach als Aufkleber am Tresen: „Lieber ’ne Runde an der Theke als ’ne Dünne im Bett“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen