Saturday Night im Nylonhemd

■ Spike Lees neuer Film „Summer of Sam“ blendet zurück zu einem 70er-Jahre-Amerika zwischen freier Liebe und dumpfer Reaktion

„Summer of Sam“ ist nicht der erste Film von Spike Lee, der einem Stadtteil mitsamt seiner buntscheckigen Freak-Ansammlung gewidmet ist. Diesmal trifft es das Italienerviertel der Bronx im Jahr 1977. Damals versetzte ein Serienmörder die Discojugend in Angst und Schrecken. Seine Spezialität: Das Abknallen von knutschenden Jugendlichen in ihren Autos – klarer Fall von Neidkomplex. Dieser Hundesohn nennt sich Son of Sam und erhält in seiner Fantasie die Aufträge zum Morden von einem grimmigen riesigen Hund – soviel zur aktuellen Kampfhundebatte.

Untertags hängen die Twentysomethings des Viertels in Sackgassen mit dem Schild „Dead end“ rum, verticken Gras, arbeiten als Serviererin und Friseur oder kümmern sich um das halbbankrotte Minirestaurant des Vaters. Abends ist das Leben wie ausgewechselt. In kessen Kleidern und breitkragigen Nylonhemden spielt man Saturday Night Fever. Doch die Mädels sind verschreckt und tragen blonde Perücken, weil der Mörder braun bevorzugt. Ein paar Ecken weiter bringt die noch junge Punkkultur schon beachtliche stachelige Haarskulpturen und Nietenschmuck-stücke hervor. Als die ordentlichen Möchtegernmachos von einem Punk erfahren, der in Schwulenbars strippt, wird er sofort als Mörder verdächtigt.

Spike Lees neuer Film handelt nicht mehr von Rassismus, sondern auf einer allgemeineren Ebene von der Verfolgung derer, die anders sind. Die Gewalttätigkeit geistigen Kleinbürgertums kann alle treffen. Nun sind Schwulenfeindlichkeit, Intoleranz bei Klamottenfragen und restriktive Sexualmoral eigentlich nicht gerade Themen, die im 21. Jahrhundert noch besonders prickelnd und relevant sind. Aber Spike Lee hat tolle, kraftsprühende SchauspielerInnen, auch die „Mighty Aphrodite“ Mira Sorvino. Und der 70er-Jahre-Charme – Discoschuppen, Wohnzimmer, Autos – ist verführerisch ins Bild gesetzt, ohne so übertrieben zu krachen wie das historische Ambiente in Malcolm X. Da übersieht man einige Stereotypien, wie etwa einen Massenmörder, der (natürlich) fett und (natürlich) von Kopfschmerz geplagt ist, die Brutalisierung durch Kokain. Dafür läuft in bester pulp-fiction-Tradition zum Grauen fetzige Discomusik und die Schnitte und Perspektiven fetzen. bk

Cinema, täglich 21 Uhr