themenläden und andere clubs: Eine Nation unter einem Groove
Internet und Internat
Schon mal über die Ähnlichkeit der Worte „E-Mail“ und „Emaille“ nachgedacht? Machen Sie das ein andermal. Und hören jetzt lieber zu: Eine befreundete, ungemein sympathische und ganz frische Mutti hat nämlich neulich angesichts der Lautstärke und Penetranz des neuen klitzekleinen Mitbewohners schnell unter „www.Internat.de“ im Internet geguckt. Lustig, oder? Zumal das Kind wirklich mal eben so auf der Welt war. Das wird noch heiter, wenn die Lungen erst mal voll entwickelt sind.
Jedenfalls, auch andere Länder haben schreiende Kinder. Nachts, so gegen 8 Uhr morgens, wenn man schlafen will. Allerdings in anderen Sprachen. Nicht „Auaaaaa!“ beispielsweise, wenn die Sicherheitsnadel in der Windel aufgegangen ist, sondern „Ayyyyyyee!“ (in Frankreich), „Groooaaargh!!“ in Marvel-Comic-Ländern oder „Woaaaaahhh!“ in Spanien (war ich gerade).
Das „Woaaahhhh!“-8-Uhr-morgens-Kind hatte ich am Abend vorher noch in der Karaoke-Bar gesehen, in der wir den Spaniern beim Lustigsein zugucken wollten. Die Spanier waren aber nicht so richtig lustig, wahrscheinlich weil ihre Kinder so schrieen, dafür besoffen sich in dem Inn umso mehr Engländer, denn Großbritannien ist die Karaoke-Nation Nummer 1. Nichts gegen Karaoke!!! Hervorragende Sache! In Berlin blamiert man sich am besten in einer so genannten „Karaoke-Box“, zum Beispiel am Nollendorfplatz, angeschlossen an die Spielothek. Man stellt sich in die gläserne Zelle, wirbelt das Mikrofon mit Schlinge von der rechten in die linke Faust wie Michael Holm und singt immer den Text, der auf dem Bildschirm gerade eingefärbt wird. Dahinter laufen die unglaublichsten Home-Videos der Welt. Bei „Ice Ice Baby“ von Vanilla Ice, das übrigens schwieriger zu singen ist, als ich dachte, scheint das Pränatal-Video der Karaoke-Box-Programmiererin (aus dem 5. Monat) zu laufen. Was nur die mit den schwachen Nerven beim Rappen irritiert. Auch nicht irritieren lassen darf man sich von den hundert Türkenjungs, die an den Glasscheiben hängen und sich beömmeln.
Aber zurück nach Spanien in die Karaoke-Bar. Während die Briten „That don’t impress me much“ karaokten und dazu Fässer voller Cider lehrten, die Deutschen ihren Sonnenbrand bepusteten und die Spanier ihre schreienden Kinder hauten, suchte ich also „Ice Ice Baby“ in der Karake-Song-Liste, war aber dann doch ganz froh, dass ich es nicht finden könnte – ich bin nicht sicher, ob ich es ohne Embryonen-Video rappen kann. Stattdessen spielte ich mit meiner Freundin Karaoke-Roulette, jede musste abwechselnd das singen, was die andere Schreckliches rausgesucht hatte. Zuerst durfte meine Freundin „There’s a new kid in town“ von der furchtbarsten Band der Welt brummeln, deren Namen die Tasten verweigern zu schreiben. Dann versuchte ich mich an einem schnittigen Cover von „And Iiiiiiiiiii-iii-iiihhh will always love you-uuuuu-ououou“, bei dem kein Auge trocken blieb. Und das erklärte, warum die Spanier ihr Kind am nächsten Tag um 8 Uhr unter mein Fenster rollten und ganz doll in die mollige Wade zwickten. Wooooahhhhhhh!!!!!!!!
Der stiernackenfaltigste aller anwesenden Engländer dagegen legte unbeeindruckt schnell noch eine unfunkige „Car Wash“-Version vor. Meine Freundin und ich skandierten empört „Ab ins Internat!“ nach dem Rhythmus von Ho-Ho-Ho-Chi-Minh. Die Karaoke-Bar stand Kopf. Der kleine Punkt, der immer auf die zu singenden Textstellen hüpfen sollte, spielte verrückt und kugelte aus dem Bildschirm. Und keine fünf Blackouts später war der Urlaub auch schon vorüber.
JENNI ZYLKA
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