: Strass, Pailetten, Perücken
Sauber bleiben bis zur Ehe: Vor vierzig Jahren starteten Diana Ross & The Supremes ihre Karriere. Eine 4-CD-Box erinnert an die Mütter aller Girlgroups, die Motown zu Rollenvorbildern aufbaute
von HARALD FRICKE
Sie sind sich in London begegnet. Es muss 1965 gewesen sein, meinte Diana Ross, als sie vor etwa zehn Jahren von NBC-TV für eine Fernseh-Dokumentation über die Motown-Geschichte nach ihren Kollegen und männlichen Konkurrenten, den Beatles, befragt wurde. Die Stimmung soll etwas steif gewesen sein, anfangs: Da saßen die drei Girls von den Supremes mit den vier britischen Jungs in einem Hotelzimmer und wussten nicht viel miteinander zu reden. Bis John, Paul, George und Ringo irgendwann kurz vor die Tür verschwanden. Danach, so Ross, hätten sie herumgealbert und geplappert, während die Supremes artig auf ihren Sesseln saßen und ein wenig verständnislos schauten. Später habe man Ross erzählt, dass die Jungs draußen gekifft hätten. Das fand sie dann auch lustig, irgendwie.
Drogengeschichten wären bei der erfolgreichsten Girlgroup der Sechzigerjahre undenkbar gewesen: Die Supremes standen für ein Image aus Eleganz und erlesener Schüchternheit, sauber und unanantastbar.
Schon mit ihrer ersten Band allerdings, den Primettes, waren Diana Ross, Mary Wilson und Florence Ballard keine zusammengepflückten Mädchen aus dem Ghetto, die ihre Karriere der Gunst einiger Plattenmanager verdankten. Ross arbeitete anfangs mit in der Verwaltung des Motown-Musikverlages, manchmal sang sie auch Backgroundchöre mit ein. Noch war die Hitsville USA ein kleines Familienunternehmen, in dem sich alle aus der Nachbarschaft in Detroit kannten.
Als ihre erste Single 1960 erschien, wusste zumindest Labelchef Berry Gordy um das Potenzial, auch wenn „Tears of Sorrow“ nur eine durchschnittliche R & B-Ballade war. Ein Jahr später hatte die Firma entschieden: Barbara Martin, dem vierten Girl, wurde der Vertrag gekündigt, der Gruppengesang mehr auf die eher popkompatible Stimme von Diana Ross zugeschnitten, und das Komponisten-Team Holland/Dozier/Holland schrieb seine Songs verstärkt auf genau dieses Konzept hin.
Anders als für die Temptations oder Martha Reeves & The Vandellas, wollte Gordy für die Supremes kein Standardmaterial, das jeder andere Act des Hauses auch hätte singen können. Über dieses Zwei-Klassen-System hat sich besonders Marvin Gaye geärgert, der damals von Gordy nicht zum Gala-Sänger aufgebaut wurde.
Im April 1964 ging die Kombination auf: „Where Did Our Love Go“ wurde die erste Nummer 1 der Supremes, in den Popcharts wohlgemerkt. Von den zwölf No.-1-Platzierungen der Supremes in den Sechzigern kamen nur die Hälfte auch in den R & B-Charts nach ganz oben. Tatsächlich klang der Sound der Supremes ganz eigen – die Melodie war leicht in der Tonhöhe abgesenkt, so dass sich mit dem Kieksen von Ross eine merkwürdige Spannung aus Naivität und totaler Sexyness ergab. Auf diese Weise konnten nur ganz unschuldige Teens von der Liebe singen – und der aufreizende Unterton wurde ebenfalls verstanden bei den jungen Sekretärinnen, die Betty Gordy als Kundschaft für die Supremes im Sinn hatte. Schmachten ja, warten aber auch, und vor allem: Sauber bleiben bis zur Ehe.
Parallel zum Sound, ließ Motown ein opulentes Images aus Strass, Pailetten und Perücken kreieren. Die Supremes waren einzigartig, jugendlich und zugleich damenhaft – der Inbegriff von Style. So wollte sie zumindest Gordy: Seine Top-Girls sollten die positive Vorstellung der Rassenintegration in den USA verkörpern. Schwarze Musiker hatten gepflegt aufzutreten und mussten sich sittsam gebärden – man wollte keine Sexskandale à la Sam Cooke, der 1964 erschossen bei einer Prostituierten im Bett gefunden worden war. Die eben erst volljährigen Mädchen sollten nicht in den Ruch geraten, ein Leben hinter der glatten Motown-Fassade zu führen. Dafür hatte Gordy eine extra Benimmdame angestellt, die den Supremes nicht nur Konversation beibrachte, sondern sie sogar ermahnte, auf dem Barhocker mit kerzengrader Wirbelsäule zu sitzen, damit ihr Po nicht über den Hockerrand lappte.
All diese Weltgewandtheit war eine Spielart des neuen Black Glamour: Motown hatte dem schwelgerischen Doo-Wop von der Ecke eine schnittige Form gegeben, die schroffen Harmonien des Rhythm ’n’ Blues in weiche Akkorde aufgelöst und die Blue Notes aus dem Jazz in ein lebensbejahendes Dur verwandelt. Für all das gab es nun ein Bild: Diana Ross & The Supremes, im weißen New Yorker Nachtclub Copacabana vor einem weißen Publikum.
Im Zuge der Black-Power-Bewegung musste dieses Image korrigiert werden. Bei einer Fernsehshow im Herbst 1968 traten die Supremes mit „Love Child“ in abgeschnittenen Jeans, T-Shirts und vor allem barfuß und mit Afro auf. Wieder schien der Crossover von Identität und Mainstream nur eine Singlelänge entfernt. Nur Diana Ross wollte diesen Wandel nicht länger mitmachen: 1970 verließ sie die Band für eine Karriere als Solostar. Die Supremes lösten sich trotzdem nicht auf, sondern versuchten es mit Disco und Sixties-Tingeltangel, bis sie 1977 aufgaben. Zurück blieben 40 Alben, dutzendweise Hits, endlose Meter Glitterstoff und etliche Perücken. Das hat sie zum Role-Model für die Girlgroups der Neunziger gemacht. Nur mit dem Sex gehen TLC, Destiny’s Child, Lil Kim und Co. heute etwas lockerer um.
Zum 40. Jubiläum der Supremes ist eine 4-CD-Sammlung mit Hits, Raritäten und bisher unveröffentlichten Stücken der Gruppe erschienen: „The Supremes“ (Motown/UME)
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