: Der nette Herr von Westphalen
und wie er neulich einmal seinen inneren Schweinehund von der Leine ließ
Im Mai diesen Jahres hatte ich das Vergnügen, mit Joseph von Westphalen und Fritz Tietz auf einer kleinen Lesetour zu sein. Dabei lernte ich den netten Herrn von Westphalen näher kennen. Er machte einen liebenswürdigen und leicht zerstreuten Eindruck, weshalb ich mich um den organisatorischen Teil der Reise kümmerte, ihn an die Hand nahm und von Auftritt zu Auftritt lotste. Zum Dank wurde ich zum Gruppenführer ernannt. Auf einem Spaziergang durch den wunderschönen Burgpark in Marburg erzählte mir Joseph von Westphalen sein Leben. Dabei beobachtete ich fasziniert, wie perfekt er die Kleist’sche Methode der „allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden“ beherrscht. Er gehört zur Gattung der schnoddernden Schnellsprecher und er kann endlos quasseln, wobei die Egomanie des Schriftstellers nie so weit geht, daß er sich desinteressiert abwendet, wenn man selber mal ein paar Sätze sagt. Dann aber entstehen Geschichten von bizarrer Schönheit, an denen man sich gar nicht satt hören bzw. lesen kann, denn in seinen Romanen verfährt er genau nach der gleichen Methode.
Als Autor ist er zwar unzuverlässig, und es bedeutet echte Schwerstarbeit, bis man ihm mal einen Artikel aus den Rippen geleiert hat, aber, so erfuhr ich in diesen hochsommerlichen Tagen, ein angenehmer und witziger Reisebegleiter, ein ruhiger, ja fast bedächtiger Mensch, der sich trotz bienenfleißiger Bücherproduktion in Höchstgeschwindigkeit am Leben, an gutem Wein und an schönen Frauen erfreut.
Aber das ist nur eine Seite von Joseph von Westphalen, wie ich nach der Lektüre seines neuen Buches „So sind wir nicht. Elf deutsche Eiertänze“ feststellen mußte. Joseph von Westphalen kann auch anders, wenn man ihn reizt. Dann verwandelt er sich in Dr. Jeckyll, der von blutrünstigen Phantasien heimgesucht wird, der „innerlich“ von der Lynchjustiz schwärmt und unzählige Male gegen den Paragraphen der Volksverhetzung verstößt. Dabei sollte nach dem genialen Plan des Eichborn-Verlags eigentlich ein Lob auf die Deutschen verfasst werden, und Joseph von Westphalen war durchaus guten Willens. Aber dann kamen ihm während der Niederschrift die mordenden „Nacktschädelschweine“ in die Quere, die alle seine guten Vorsätze über den Haufen warfen und aus dem netten Herrn von Westphalen eine rasende Furie machten. Die „Hauptfurunkel“ der Neonazis müssen aufgespürt werden, um „ihnen klammheimlich eine Giftspritze in den Arsch zu stechen und die abscheulichen Leichen diskret zu entsorgen“. Als Alternative schwebt ihm vor, Algerien „notfalls mit dem Versprechen günstiger Waffenlieferungen“ zu bewegen, die Glatzen „zu verurteilen und anschließend öffentlich zu vierteilen.“ Auch Teheran könnte einmal von Nutzen sein, wo sie „unter dem Johlen vermummter Frauen gesteinigt werden müssten“.
Doch, das hat mich schwer beeindruckt, mehr noch als seine wunderbaren Tiraden gegen die „Ostzonentussi“ Monika Maron und die „Ostärsche mit ihrer verdrucksten Art“. Man merkt, dass sich da noch einer aufregt und echte Handlungsalternativen bietet und nicht in schwer gutmenschlicher Art Frieden und Toleranz beschwört, auf die sich die Nazis doch nur ein Ei braten. Und dass er so ganz nebenbei seine Reputation als durchaus beachteter Schriftsteller aufs Spiel setzt, ist ja auch ziemlich selten geworden. Bei den meisten wirkt es peinlich, wenn sie ihren inneren Schweinehund von der Leine lassen. Bei Joseph von Westphalen nicht. KLAUS BITTERMANN
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