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Lucy in the sky with diamonds

Aufklärung, humanistischer Widerstand mit den Mitteln der Unterhaltung und der Popkultur: „German Angst“ von Friedrich Ani

von GEORG SEESSLEN

Ganz klar! Wir müssen was gegen die Nazis tun. Jede und jeder an seinem Ort. Also auch und vor allem mit den Mitteln der Kultur, mehr noch mit den Mitteln der populären Kultur, den Mitteln der Unterhaltung. Aufklärung und Empfindung, humanistischer Widerstand mit den Mitteln der Popkultur, Texte und Bilder, die eine Widerstandslinie ziehen. Möglichst weit in die Mitte hinein. Man muss das Publikum erst einmal erreichen, bevor man ihm etwas sagen kann. Ganz klar, wie gesagt.

Ist das so klar? Natürlich tut sich da wieder das leidige Form/Inhalt-Problem auf. Eine Ahnung davon haben wir, dass das, was da kam übers Land – nicht so überraschend vielleicht, wie man’s gern hätte – unter vielem anderen auch damit zu tun hat, was aus unserer Kultur geworden ist, wie wir uns verständigen, welche öffentlichen Bilder produziert werden. Dass die Neonazis so weit in die Mitte reichen können, hat auch damit zu tun, dass diese Mitte sich zuvor zu stumpfen Idioten hat herunterunterhalten lassen. Im „Musikantenstadel“ gibt es keinen Widerstand gegen rechts. Und der Krimi, hier und dort noch die letzte Bastion kritischer Aufklärung im Unterhaltungsmeer, hat auch so seine Methoden, die Wirklichkeit gerade noch bewohnbar zu machen. Das Paradox ist: Aufklärung, wenn sie nicht gänzlich auf Wirkung im kulturellen Mainstream verzichten will, muss zugleich die Mittel und Mythen der Unterhaltung benutzen (die Regisseurin einer populären TV-Serie drückte das einmal sehr hübsch aus, als sie meinte, sie würde sich nicht davor scheuen, „Klischees zu bedienen“, wenn es nur für einen guten Zweck sei), und sie muss diese Mittel und Mythen überschreiten. Etwas Schwierigeres kann man sich kaum vorstellen.

Mehmet lässt grüßen

Friedrich Ani benutzt in seinem Roman „German Angst“ Mittel und Mythen des Kriminalromans und eine Polizistenfigur, die er schon vorher eingeführt hat. Im mehr oder weniger fiktiven August 1999 wird Natalia Horn von Angehörigen einer „Aktion D“ der „Deutschen Republikaner“ entführt. Sie ist Freundin, gar Verlobte des Nigerianers Christoph Arano, der bereits als Kind nach Deutschland gekommen ist und ein Installationsgeschäft betreibt. Seine vierzehnjährige Tochter Lucy ist seit dem Tod der Mutter derangiert, sie stiehlt, treibt sich herum und kann ziemlich aggressiv sein.

Der „Fall“ Mehmet lässt grüßen, zumal die ganze Geschichte in München spielt. Die Presse macht aus Lucy einen negativen Medienstar und wirft dem Vater vor, pädagogisch überfordert zu sein. Von rechts kann man das leicht als indirekte Aufforderung für eine Abschiebung verstehen. Und das ist es, was die „Aktion D“ denn auch mit Gewalt durchsetzen will, nicht ahnend, dass Christoph Arano sowieso das Land verlassen und mit seiner Tochter nach Nigeria fliegen will. Kriminalkommissar Tabor Süden, wenn man so will: der Held dieser Geschichte (und anderer Romane von Friedrich Ani), der Lucy ganz am Anfang schon vor einem Mordanschlag eines Neonazi-Taxifahrers hat retten müssen (Lucy klaut ihm dafür das Portmonee), muss sie am Ende begleiten, um sie auch gegen die skrupellosen Medien zu verteidigen.

Das Ganze ergibt eine Parforcetour durch Bilder, Stimmungen und Themen jenes Deutschlands, das nicht mehr genau weiß, ob es sich selbst eigentlich noch näher anschauen soll, oder ob das, was es da zu sehen gäbe, schon unerträglich ist. Das ist mutig, sehr detailreich – spürbar von einem recherchiert, der sein Handwerk als Journalist gelernt hat und die Orte, die er beschreibt, aus eigener Anschauung kennt und versucht, in der Analyse tiefer zu gehen, als es nur die moralische Geste gegen rechts vermöchte. Es kommt so ziemlich alles vor, was mit dieser deutschen Angst, der Angst in Deutschland und der Angst vor Deutschland zu tun hat; und in der Bewegung (die im übrigen ziemlich langsam beginnt und erst später an Rasanz gewinnt) der Kriminalhandlung zeigt sich auch, wie da das eine mit dem anderen zusammenhängt.

Aber! Es gibt eben dieses leidige Form/Inhalt-Problem. Um sein ehrenwertes Ziel zu erreichen, muss Ani ein Genre unter Diskurszwang setzen, das eigentlich von Lakonie und Reduktion lebt, das spätestens seit den Schreibern der Hard-boiled-Schule Gedanken eben nicht in Worte übersetzt, sondern in Handlungen und allerspätestens seit Patricia Highsmith den Leserinnen und Lesern keine Lösung mehr serviert, weder was die Vernunft noch was die Moral anbelangt. Moderne Kriminalromane liefern nicht mehr Modelle von Aufklärung (in doppeltem Sinn), sondern setzen Prozesse der Aufklärung in Köpfen in Bewegung. Kann man natürlich nur machen, solange es noch Köpfe gibt, in denen etwas in Bewegung gesetzt werden kann.

Der politisch korrekte, diskursiv aufklärerische Kriminalroman muss also, was die Entwicklung (nicht nur) des Genres anbelangt, einen Schritt zurück machen. Da muss bei Ani der Kommissar der vierzehnjährigen Delinquentin gleich einen kurzen Vortrag über die Psycho-Logik des deutschen Rassismus halten: „Es ist praktisch für sie, dass du schwarz bist, so haben sie eine Rechtfertigung für ihr Verhalten. Ein schwarzes Kind, das wahllos Menschen angreift, ist ein Glücksfall für sie, du bist ein Fleisch gewordener Angstmagnet. Sie denken, je mehr sie dich fürchten müssen, desto weniger wird ihre Furcht.“ Das ist sehr korrekt, aber es stimmt hinten und vorne sprachlich schon gar nicht. Wenn ein Polizist ein Kind einen „Fleisch gewordenen Angstmagnet“ nennt, hat man definitiv das Gefühl, im falschen Text zu sein.

Natürlich, das ist gut gemeint, und den Film, der dazu entstehen würde, kann man sich recht gut vorstellen: Einer jener „Tatort“-Folgen, für die sich das deutsche Fernsehen ausnahmsweise nicht zu schämen bräuchte. Mit Charakteren, von denen wir mehr erfahren, als dass der jeweilige Schauspieler oder die jeweilige Schauspielerin eine ähnliche Rolle in einer ähnlichen Serie schon mal gespielt hat. Aber so ein Buch will ja nicht nur moralisch gutgeheißen, und ihm will nicht nur – genau, sowieso, sehr richtig – applaudiert werden, es will ja auch gelesen sein.

Lindenstraße schlägt zu

Und da beißt’s bei „German Angst“ leider aus. Das Ding ist so geschwätzig, so vieler Sätze voll, die wiederholen, was andere Sätze zur Bestätigung noch anderer Sätze schon gesagt haben. Nur damit auch ein möglicherweise „Musikantenstadel“-geschädigter Mitmensch (freilich: mit guter Allgemeinbildung und Wortschatz auf Frankfurter Allgemeine-Niveau) auch alles mitbekommt. Die Kunst, einen Charakter mit wenigen Strichen zu skizzieren, übrigens eine der fünf Kardinaltugenden eines guten Kriminalromans, beherrscht der Autor (jedenfalls was diesen Roman angeht) so wenig, wie er eine Atmosphäre beschreiben kann, ohne in eine Überbeschreibung voller Faktenhuberei zu verfallen (als Münchner weiß man um die echten Schauplätze und zugleich darum, dass diese Echtheit eigentlich gar nicht viel zu bedeuten hat).

Der Autor meint es mit seinen Leserinnen und Lesern so gut, dass er sie für dumm, fantasielos und unerfahren genug hält, um sie durch seinen Text so fest an der Hand zu nehmen, wie man Kinder an der Hand nimmt, mit denen man über den Stachus gehen muss und ihnen nicht verraten will, wie unsicher man selbst in all dem Betrieb ist. In diesem Buch kann man sich keinen Augenblick selbst umsehen, nicht einmal in den Köpfen der Protagonisten, deren bescheidener Inhalt Satz für Satz vor uns ausgebreitet wird. Die „Lindenstraße“ schlägt unbarmherzig auf den literarischen Text zurück. Nur dass dort die Figuren von allem, was sie bewegt, was sie empfinden, was sie überlegen, unablässig schwätzen müssen und hier ein endloser, widerspruchsfreier und überdeterminierter Strom innerer Monologe über Seiten ausdrückt, was ein Schauspieler – hoffentlich! – mit einem Augenblinzeln an der richtigen Stelle vermitteln könnte.

Aber nichts stimmt

Diese Technik der Redundanz und des Zu-Tode-Schreibens aus einer fernsehgemäßen Kenntnis der Welt hat dann aber auch seine ideologischen Auswirkungen. Alles ist korrekt und richtig, aber nichts stimmt. Die Protagonisten auf der Seite der Rechten, der „Deutschen Republikaner“ stimmen dann nicht einmal mehr als satirische Knallchargen.

Der innere und äußere Redezwang bringt zum Beispiel einen rechten Taxifahrer zuerst dazu, seitenlang darüber innerlich zu schwadronieren, wie er Intellektuelle mit Brillen und ihre „Labereien“ nicht mag, selbst wenn sie bei den Deutschen Republikanern sind und in den „Staatsbriefen“ schreiben; nur um am Abend vor seinen Kumpanen daraus zitierend eine Rede zu halten, wie sie kein bebrillter Chefideologie der Neuen Rechten schwurbeliger und gezierter hinbekommen hätte. So etwas kriegt auch das beste Münchner Weißbier nicht hin, das weiß ich aus Erfahrung: „Hören wir auf, Opferlämmer zu spielen, wehren wir uns, bevor wir wehrlos sind. Erlösen wir dieses Land aus seiner Agonie. Für immer.“ Wos hot der gsogt? A Agonie? Kennst du a a Agonie? „Eine derartige Ergriffenheit hatte Scholze nicht erwartet.“ Der Versuch, im Kopf eines Faschisten zu denken, ist eine Herausforderung, an der schon größere Autorinnen und Autoren gescheitert sind.

Es gibt noch viel an diesem Buch zu kritisieren, von der penetranten (Selbst-)Stilisierung der Figur des guten Polizisten, über die ständige Wiederholung bei der Schilderung längst bekannter Umstände oder Charaktereigenschaften, der immergleichen Textmodule, bis zu einem unpassenden Hang, zwischendurch höchst lyrisch zu werden, kurz gesagt: eine merkwürdige Form von Selbstgerechtigkeit bis hin zur fatalen Sentimentalität. Aber das alles ist gewiss nicht allein die Schuld eines gut meinenden Autors, der alle pädagogischen und rhetorischen Tricks der Unterhaltung anwendet, um ein ehrenwertes Ziel zu erreichen. Es ist ein Symptom. Die Krankheit sieht man, wenn man den Fernseher anstellt.

Friedrich Ani: „German Angst“.Droemer Verlag, München 2000,485 Seiten, 44,90 DM

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