: Zwei von Millionen
Hingabe, Charme, Gedächtnisarbeit – falls die taz doch eingehen sollte, wird es nicht an diesen beiden Popbands gelegen haben: Britta und Stereo Total beim Rettungskonzert im Roten Salon
von ANDREAS BECKER
Marcel Reich-Ranicki gab der Solidaritätsbewegung für die darbende taz im letzten „Literarischen Quartett“ noch einmal trotzig Auftrieb: „Diese Zeitung lese ich nicht“, entgegnete er Karasek, nachdem dieser die taz für den einzigen Brigitte-Kronauer-Verriss im deutschen „Blätterwald“ gerühmt hatte. Wäre das eine schöne Werbung: Ranicki, wie er voll jugendlichen Schwungs eine taz zerreißt!
Um die Solidarität im Lesevolk weiter zu verankern, wurde Sonntagabend nach dem grandiosen Surrogat-Auftritt wieder ein Konzert in Zusammenarbeit mit dem Roten Salon veranstaltet. Für 15 Mark konnte frau zwei Bands und eine Zeitung retten. Die Solidarität geht inzwischen so weit, dass die selbstausbeutungsgewohnten tazler sogar selber freiwillig Eintritt zahlen. Nur unser guter Kumpel Roland Owsnitzki – alle guten Konzertfotos sind von ihm, trotzdem gibt’s wie eh und je nur gleich wenig Honorar pro Bild – weigerte sich standhaft, seinen Obolus abzudrücken. Dafür zahlte Berlinkulturkollege Bartels gleich doppelt – mit gutem Beispiel voran. Umsonst kam wohl nur ich rein. Trotzdem war die Bude schließlich ziemlich voll.
Lustig auch die Solidarität auf der Bühne, begonnen von einem hochwertigen Beitrag der All-Girl-Group Britta. Sängerin Christiane Rösinger klaubte älteres Liedgut der Lassie Singers aus dem Gedächtnis, und so wähnte sich der Hörer schon fast in Zeiten, als die taz ihre ersten Sommerlöcher zu stopfen begann – das war Anfang der Achtziger. Wie in einer gemütlichen WG-Küche schunkelte sich Rösinger durch die jüngere Geschichte. Klang richtig schön merkwürdig westberlinerisch. Lustig auch, dass Rösinger neben ihrer taz-Kolumne bei der Konkurrenz richtig tolle Konzertkritiken schreibt – die Berliner Seiten der FAZ halten ja sowieso einige für die Fortführung der taz mit anderen Mitteln. „Ich bin zwei Öltanks, Beton, es kommt drauf an, was man draus macht“, das sind so die Britta/Lassies-Lyrics, „mitten aus dem Alltag gegriffen“. Supertoll ihre krachige Version eines uralten Ton-Steine-Scherben-Songs („Wir sind nur Zwei von Millionen. Wir sind nicht allein“) zum Schluss.
Das zweite Konzert bestritten die Lokalmatadoren Stereo Total. Auch hier handelt es sich zur Hälfte wiederum um löbliche Solidarität mit sich selbst, beinahe jedenfalls: Fräulein Cactus arbeitete jahrelang in der Produktionshölle Kochstraße. Das Duo François Cactus/Brezel Göring bestach wieder einmal durch Hingabe im Vortrag, in Gedächtnisarbeit (einmal dauerte es zwei Minuten, bis Cactus ein Text wieder einfiel) und amtlich genehmigtem „trockenem Humor“. Angenehm kurz sind die Nummern, die sich mit der Liebe zu Schlagzeugern befassen („Isch liebe Ringo Starr – yeah yeah yeah“) oder einfach alte französische Gassenhauer sind, die von Straßen handeln. Dann geht mal kurz die Altelektronik von Brezel kaputt, schon geht’s weiter. Cactus trommelt anmutig, Herr Brezel wippt lustig mit dem Oberkörper. Sehr charmant, sehr angenehm dieser Solidarbeitrag.
Dann noch einiges an Musik vom Plattenteller. . . Würde jetzt noch der geheime Kokaindeal klappen, den die Alt-tazlerin und heutige Gesundheitsministerin Andrea Fischer eingefädelt hat und der durch die Kloaffäre fast aufgeflogen wäre, dann wäre die taz langfristig gesichert. Als Notfallplan hat taz-Geschäftsführer Ruch ausrechnen lassen, dass die Zeitung mit jährlich einer Milliarde Mark aus den UMTS-Erlösen halbwegs über den Berg wäre. Natürlich nur, wenn das Zeilengeld auf dem jetzigen Niveau bleibt und die Essenmarken weiter wegfallen.
Am 3. Dezember retten Neoangin, Komeit und Maxi unter Menschen die taz im Roten Salon.
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