: Hollywoods böse Billardkugel
Mit der „Addams Family“ wurde Christina Ricci zum Gothic Girl. Im Mystery-Thriller „Die Prophezeiung“ legt sie noch einmal die düsteren Klamotten an
von PHILIPP BÜHLER
Wie kann jemand so jung sterben wollen? Das ist genau die Frage, die man sich nicht stellt, wenn man Christina Ricci in „Meerjungfrauen küssen besser“ bei ihren lebensgefährlichen Tauchexperimenten beobachtet. Damals, 1990, war sie gerade neun Jahre alt, und nichts schien selbstverständlicher als diese abgebrühte Todessehnsucht, die wohl nur schreckliche Kinder schrecklicher Eltern entwickeln können. Die Rabenmutter im Film hieß Cher, Christinas wirklicher Vater war Psychiater. Seine Urschreitherapien dröhnten ihr dermaßen in den Ohren, dass sie sie postwendend an die Mutter weitergab. Bevor sich die beiden scheiden ließen, stieß sie als untote Tochter noch viel schrecklicherer Eltern zur „Addams Family“.
Da setzte sie dann, angetan mit schwarzem Rüschenkleidchen und ihrem Markenzeichen, den spiegelglatten schwarzen Haaren, ihr Brüderchen auf den elektrischen Stuhl. Das Spiel hieß: „Gibt es einen Gott?“ Kurzum: Gegen Christina Ricci war Bela Lugosi ein Kinderstar. Mittlerweile hat das Mädchen, das nie lacht, seinen natürlichen Goth-Appeal umgewandelt in das Image der frühreifen Schlampe. Wobei sie das Kunststück fertig brachte, stets verführerisch, aber nie verfügbar zu wirken.
In Ang Lees „Der Eissturm“ nahm sie sich schlicht die sexuelle Freiheit, von der die im Vergleich zu ihr pubertär verklemmten Eltern nur träumen konnten: „Zeigst du mir deins, zeig ich dir meins.“ Und in „The Opposite of Sex“ spannte sie dem Stiefbruder den Liebhaber aus, um dann aus dem Off zu raunen: „Ich habe kein Herz aus Gold. Es gibt eine Menge netterer Leute als mich. Man nennt sie auch Verlierer?“ Zur Wahrheit, dass sie bei der Wahl ihrer Rollen ein eiskaltes Händchen bewiesen hat, gehört allerdings auch, dass dem notorischen Pummelchen in der Phase eines persönlichen Tiefs die begehrten Hauptrollen in „Lolita“, „Romeo & Julia“ und „Titanic“ verwehrt wurden. Offensichtlich gibt es einen Gott.
Mit cleveren Statements, den runden Wunderaugen und der hohen Stirn, in die sich beim Rauchen immer eine ganz wunderbare Falte legt, wurde sie so was wie Hollywoods allwissende Billardkugel. Das schönste Interview, das Tom Kummer nie geführt hat, ist das mit Christina Ricci, und, Teufel auch, genau darüber ist er gestolpert. Dabei hat er nur zusammengetragen, was das Engelchen auch sonst druckreif von sich gibt: dass sie Spiegel hasst, gerne einen Psychokiller spielen würde und ohne die Schauspielerei heute in der Gosse läge. Sympathisch wird sie durch ihre permanente Abgrenzung zum Gimmick-Goth Marylin Manson, den sie verachtet (in den USA muss man dazu eine Meinung haben). Und durch die permanente Reflexion der eigenen Existenz als infantil-pubertäres Rollenklischee. „Entschuldigung, ich bin ein Teenager“, sagt sie beispielsweise. „Ich darf also ungebildet klingen und blödsinnige Kommentare abgeben wie: ‚Ich bin keine Hardcore-Feministin‘“. Wir stellen uns hier vor, dass ihre Stimme beim letzten Satz ganz nach unten geht. Und stellen fest, dass Christina Ricci einen Kultwert besitzt, der tätowierten Tabubrecherinnen wie Angelina Jolie für immer verwehrt bleiben wird.
Nun zu ihrem Auftritt in Chuck Russells „Die Prophezeiung“ (ab heute im Kino). Der währt etwa zehn Minuten und ist der einzige Grund, sich diesen so steindummen wie langweiligen Hokuspokus anzuschauen. Wobei das Szenario für einen prima Ricci-Film, in verrückter Tradition gewissermaßen, durchaus gegeben ist. Kim Basinger bemuttert darin ein spiritistisch befähigtes Stieftöchterchen Cody, um das sich die himmlischen und höllischen Heerscharen balgen. Das weiß Kim so nicht, aber Christina wird es ihr sagen. Düster gewandet wie zuletzt selten platzt sie zur Mitte des Films herein und legt eben mal die Fakten auf den Tisch: Da gibt es also diesen Kampf zwischen Gut und Böse, Cody mittendrin, und weil der Teufel sie finden muss, werden alle Kinder, die am selben Tag Geburtstag haben, getestet und umgebracht.
Bisher hat man sich nur gewundert, warum New York so gruftig aufgemotzt wirkt und allenthalben diese komischen greifartigen Wasserspeier namens Gargoyles um die Ecke lugen. Der Film ist, dramaturgisch gesehen, hinüber. Statt Christina Ricci für ihre tolle Leistung zu belohnen, wird ihr dann von den höllischen Horden der Kopf abgehauen. Was man dem Regisseur Chuck Russell, Todessehnsucht hin oder her, echt nicht verzeihen kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen