: Rettung aus Hannover für die ÖTV
Die Gewerkschaft ÖTV hat einen neuen Chef. Dieser ist weder besser noch schlechter als der alte – aber immerhin bereit, weiter für die Ver.di-Fusion zu kämpfen. Frank Bsirske wurde gestern mit großer Mehrheit als Nachfolger von Herbert Mai gewählt
von BARBARA DRIBBUSCH
Beim Hauptvorstand der ÖTV rauchten am Mittwochabend die Köpfe: Woher nehmen wir auf die Schnelle einen neuen Gewerkschaftsboss her, jetzt, nachdem Herbert Mai abgetreten ist? Aus der Reihe der ÖTV-Bezirkschefs wollte keiner zum Nachfolger befördert werden. Da entsann sich jemand Frank Bsirskes, des ehemaligen ÖTV-Vizechefs in Hannover. Ein Telefonanruf und Bsirske reiste an. Auch so werden neue ÖTV-Chefs gemacht.
Die Delegierten auf dem ÖTV-Gewerkschaftstag in Leipzig wählten Bsirske schließlich mit der überwältigenden Mehrheit von 94 Prozent der Stimmen. Mai hatte das Handtuch geworfen, nachdem eine Probeabstimmung zur geplanten Verschmelzung der ÖTV mit der neuen Supergewerkschaft Ver.di nur ein mageres Ergebnis erzielt hatte.
Mit dem 48-jährigen Politologen Bsirske steht erstmals ein Grüner an der Spitze der mächtigsten Gewerkschaft der Welt. Bsirske war vor drei Jahren von seinem Gewerkschaftsposten ins Arbeitgeberlager gewechselt und hatte als Personaldezernent in Hannover die Stadtverwaltung modernisiert, flexible Arbeitszeiten und befristete Amtsleiterstellen eingerichtet. Damit bekommt die ÖTV nach Mai wieder einen Modernisierer als Chef.
Kaum einer der Delegierten wollte gestern noch Spielverderber sein: Bsirske, den innerhalb der ÖTV viele gar nicht kannten, bekam deutlich mehr Stimmen als Herbert Mai bei seiner Wahl im Jahre 1995. Wie Mai befürwortet Bsirske die Verschmelzung der ÖTV mit vier anderen Gewerkschaften zu Ver.di im März kommenden Jahres. Er kündigte gestern an, für den Vorsitz von Ver.di zur Verfügung zu stehen. Im Gespräch dafür ist aber auch die langjährige Vorsitzende der Gewerkschaft HBV, Margret Mönig-Raane. Bsirske hat jetzt fünf Monate Zeit, Charisma aufzubauen, um dann doch den Sprung an die Spitze der neuen Supergewerkschaft zu schaffen.
Der ÖTV-Gewerkschaftskongress hatte bereits am Mittwoch mehrheitlich für einen außerordentlichen Gewerkschaftstag im März 2001 gestimmt. Auf diesem soll endgültig über die Auflösung der ÖTV und die Verschmelzung mit der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), Deutscher Postgewerkschaft (DPG), IG Medien und Deutscher Angestellten Gewerkschaft (DAG) zu Ver.di entschieden werden.
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