Ist jetzt endlich alles gut?

Die Berliner Demonstration am 9. November war ein wichtiges Zeichen. Darüber sind sich die Parteien einig. Nicht mehr, aber auch nicht weniger

von JENS KÖNIG

War da was? Ist am Tag nach der großen Demonstration in Berlin irgendetwas anders? Ist gestern ein deutsches Unternehmen dem Fond zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter beigetreten? Hat sich für einen Asylbewerber, der seinen Landkreis nicht verlassen und nicht arbeiten darf, die Lage verbessert?

„Natürlich ist erst einmal nichts anders“, sagt Marieluise Beck, die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung. „Das ist ja das Schwierige bei der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus: Es gibt keinen Anfang und kein Ende.“ Und dennoch habe sie die Stimmung am Donnerstagabend in Berlin beruhigt: „Ich hatte das Gefühl, die Menschen meinen es sehr ernst, wenn sie sagen, Ausländerfeindlichkeit dürfe nicht mehr toleriert werden.“

So oder ähnlich schildern viele Politiker der Regierungsparteien, aber auch von CDU, FDP und PDS ihre Eindrücke von der Antirassismusdemo: Es war ein wichtiges Zeichen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Renate Künast, Parteichefin der Grünen und eine der drei Ideengeber der Veranstaltung, hat wenig übrig dafür, wenn der „Aufstand der Anständigen“ als verordneter Antifaschismus gegeißelt wird. „Ich lasse mir das nicht als Staatsdemo kaputtreden“, meint Künast. „Über 200.000 auf der Straße – das kann keiner verordnen. Die Menschen wollten hingehen.“ Die Parteivorsitzende weiß auch, dass mehr gefordert ist. Bundesregierung, Länder und Kommunen müssten im Kampf gegen Rechtsextremismus stärker sowohl auf Repression als auch auf Bildung und freie Jugendarbeit setzen, fordert Künast.

Auch für FDP und PDS war der Donnerstag ein Erfolg. Dieser habe jedoch ein kurzes Verfallsdatum, meint PDS-Fraktionchef Roland Claus, wenn die Demo eine einmalige Aktion bleibe. Einig waren sich die Parteien, mit Ausnahme der Union, noch in einem anderen Punkt: Die Demonstration in Berlin, insbesondere die Rede von Paul Spiegel, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, war eine eindeutige Absage an eine „deutsche Leitkultur“. Die Ausländerbeauftragte Marieluise Beck warnt jedoch, darin nur eine Kritik an CDU und CSU zu sehen. „Ich bekomme das in meiner Arbeit fast täglich mit“, sagt Beck, „viele Politiker bedienen bewusst oder unbewusst dumpfe Vorurteile oder Ressentiments.“

Die Union tut sich schwer mit den klaren Worten von Paul Spiegel („Was soll das Gerede um Leitkultur?“). Überrascht worden ist sie davon allerdings nicht. Schon bei einem Treffen des Zentralrats der Juden mit der CDU-Spitze in der vorigen Woche hatte Spiegel die Christdemokraten aufgefordert, den Begriff „deutsche Leitkultur“ nicht mehr zu verwenden. CDU-Chefin Angela Merkel äußerte sich damals gegenüber dem Zentralrat nicht eindeutig. Aber als ein paar Tage später das Wort in leicht abgewandelter Form als „Leitkultur in Deutschland“ in dem Grundsatzpapier der Partei zur Einwanderung wieder auftauchte, soll Spiegel sehr verärgert gewesen sein.

Offene Kritik an Spiegel gibt es in der Union nicht. Aber dass sie seine Worte treffen, ist ihren Reaktionen zu entnehmen. Friedbert Pflüger, Vorstandsmitglied der CDU und einer ihrer liberalen Vertreter, rät, souverän mit Spiegels Rede umzugehen. Aber dann legt er doch Wert auf die Feststellung, dass seine Partei nicht mehr von „deutscher Leitkultur“ redet. „Ich würde mich freuen, wenn anerkannt wird, dass die CDU sich jetzt eindeutig für Einwanderung ausgesprochen hat.“ Allein der unverwüstliche Heiner Geißler forderte gestern wieder einmal, auf den Begriff „Leitkultur“ zu verzichten.

Also auch in der CDU ist einen Tag nach der Demonstration alles beim Alten.