Anschläge auf Juden in Weiden

Jüdische Gemeinde wirft CSU-Oberbürgermeister vor, zu lange geschwiegen zu haben

aus Weiden BERND SIEGLER

„War es richtig, sich hier niederzulassen?“ Als die 37-jährige Jüdin Irina Plischuk vor zehn Jahren aus dem ukrainischen Dnjepropetrowsk nach Deutschland kam, war sie froh, endlich der antisemitischen Grundstimmung in der alten Sowjetunion entflohen zu sein. Jetzt, nachdem im letzten halben Jahr fünf Anschläge mit Pflastersteinen oder Farbflaschen gegen Häuser der Jüdischen Gemeinde in ihrer neuen Heimat im bayerischen Weiden verübt worden waren, hat sie die Vergangenheit wieder eingeholt. „Wir Juden in Weiden fühlen uns im Stich gelassen und das tut noch mehr weh als die Anschläge“, beklagt sich die zweite Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde über die mangelnde öffentliche Unterstützung.

Im Stich gelassen fühlen sich die 433 Mitglieder der Jüdischen Gemeinde in der 43.000-Einwohner-Stadt in der Oberpfalz vor allem durch Polizei und Politik. Als Mitte Mai Unbekannte das Mahnmal zum Gedenken an die in Konzentrationslagern ermordeten Weidener Juden mit Farbe besudelten und kurz darauf eine Schaufensterscheibe des Fotogeschäfts der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Gabi Brenner, beschädigt wurde, gab es aus dem offiziellen Weiden überhaupt keine Reaktion. Die Polizei stellte gar einen möglichen antisemitischen Hintergrund in Abrede. Erst als in der Nacht zum 14. Juni zwei Fenster der in einem unscheinbaren Reihenhaus untergebrachten Synagoge mit faustgroßen Kieselsteinen eingeworfen wurden, sprach CSU-Oberbürgermeister Hans Schröpf eher abwertend von einem „ärgerlichen“ Vorfall. „99 Prozent der Weidener Bürger sind weder rechtsradikal orientiert noch antisemitisch eingestellt.“

Während Polizei und Staatsanwaltschaft wochenlang gegen Verantwortliche einer unangemeldeten Demonstration gegen den Antisemitismus ermittelten, machten sie gleichzeitig der Jüdischen Gemeinde nur wenig Hoffnung: Naturgemäß sei die Ermittlungsquote bei Sachbeschädigungen gering, hieß es. In der Nacht zum 1. September schleuderten Unbekannte ein Einmachglas voller Farbe auf den Treppenaufgang der Synagoge, und am 2. November flogen zwei Pflastersteine in die Schaufenster von Gabi Brenners Fotogeschäft. Die 47-jährige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde will sich nicht entmutigen lassen. „Ich lasse mir den Mund nicht verbieten“, sagt Brenner. Sie macht das lange Schweigen von offizieller Seite mitverantwortlich für die Anschläge und nimmt dafür in Kauf, als Nestbeschmutzerin verunglimpft zu werden.

Vor allem von Weidens CSU-Oberbürgermeister Hans Schröpf hätte sie sich bereits nach den ersten Anschlägen ein entschiedenes Auftreten gewünscht. Schröpf amtiert seit 25 Jahren in der Stadt, die mit einer Arbeitslosenquote von 5,3 Prozent ihre wirtschaftliche Krise nach dem Niedergang der Glas- und Porzellanindustrie überwunden hat. Seine Taktik, das Ganze totzuschweigen, ging spätestens mit dem letzten Anschlag nicht auf. Weiden geriet bundesweit in die Schlagzeilen. Für Brenner hat gerade dieses Schweigen den unbekannten Tätern signalisiert, dass „der latente Antisemitismus ausgelebt werden“ dürfe. Der habe zugenommen, seit im September 1994 die ersten jüdischen Kontingentflüchtlinge nach Weiden kamen. Die vorher nur noch 36 Mitglieder umfassende Gemeinde wuchs an.

Insgesamt knapp 1.000 Kontingentflüchtlinge durchliefen seitdem die Gemeinde, über 400 davon blieben in Weiden – mit all ihren Problemen. „Unsere Arbeit wurde hauptsächlich Sozialarbeit“, betont Brenner – und Auseinandersetzung mit den deutschen Stammtischen, wo Sätze wie „Schon wieder ein Prozent in Weiden ist jüdisch“ kursierten. Gabi Brenner, seit Oktober 1994 Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, versuchte gegenzusteuern, sie öffnete die Gemeinde nach außen. Viele Veranstaltungen sind heute fester Bestandteil des kulturellen Lebens in Weiden. Heute stellt sie die Frage nach dem Sinn ihrer ganzen Aktivitäten, denn das, was Oberbürgermeister Schröpf dann nach langem Schweigen bei einer Gedenkfeier zur Pogromnacht kundtat, fand sie schlicht „enttäuschend“. Der CSU-Mann sprach von „hässlichen Vorfällen“ und betonte, dass er Schmierereien an der Josefskirche und an der Dreifaltigkeitskirche „ebenso bedauere“. „Ein kleiner Kreis von Chaoten“ habe „verwerfliche Beispiele“ geliefert, die ein „negatives Meinungsbild von unserer Stadt“ gezeichnet hätten.

Während Schröpf sein Hauptaugenmerk auf das geschädigte Image der Stadt legt, tappt die Polizei im Dunkeln. „Wir tun alles Menschenmögliche, aber es gibt einfach keine Ansätze“, betont Kriminalhauptkommissar Josef Seebauer. Immerhin spricht er inzwischen von „Sachbeschädigungen mit vermutlich antisemitischen Hintergrund“, und das Bayerische Landeskriminalamt hat 5.000 Mark Belohnung zur Ergreifung der Täter ausgesetzt.