piwik no script img

Schnelle Hatz, zäher Prozess

Der Richter hoffte auf ein baldiges Ende. Die Verteidiger beklagten sich über zu kleine Tische. Und einer der Angeklagten prügelte weiter Ausländer

von LUKAS WALLRAFF

Alexandra Kley kann es noch nicht glauben, dass sie heute zum letzten Mal im Saal 209 des Cottbuser Landgerichts sitzen wird. Dafür hat sie hier in den vergangenen zwanzig Monaten zu viel erlebt. Wie das Verfahren immer wieder verschoben wurde, wie immer wieder neue Termine genannt wurden, wie aus den geplanten 31 Verhandlungstagen 81 wurden. Manchmal hatte sie das Gefühl, „dass es nie zu Ende geht“. Doch sie hat durchgehalten. Die Architekturstudentin hat so ziemlich alles mitgeschrieben, was im Saal 209 gesagt wurde. Über 500 Zettel voll gekritzelt und zu Hause abgetippt. Ihrem Buch fehlt nur noch ein Kapitel: das Urteil gegen die Beteiligten an der Hetzjagd von Guben.

Das Buch soll am 13. Februar 2001 erscheinen, dem zweiten Todestag von Farid Guendoul. Weil der Algerier bei der Hetzjagd qualvoll ums Leben kam, standen elf Männer vor Gericht. Sie sind 18 bis 21 Jahre alt. Noch ist nicht sicher, ob sie heute wegen fahrlässiger Tötung verurteilt werden. Fest steht schon jetzt: Die Dokumentation von Alexandra Kley und Mitautor René Lehmann von der Antifa Guben wird ein Lehrstück über die Schwierigkeiten der Justiz im Umgang mit rechtsextremen Tätern.

Da ist zum einen Richter Joachim Dönitz, der zu Beginn des Prozesses im Juni 1999 noch hoffte, man könne die Sache relativ rasch hinter sich bringen. „Er sagte deutlich, dass das Gericht von einer Bewährungsstrafe für alle ausgeht“, berichtet Rechtsanwalt Bernhard Blankenhorn, der als Nebenkläger die Mutter des Opfers vertritt. Doch aus dem angestrebten Agreement wird nichts. Je länger der Prozess dauert, desto mehr verhärten sich die Fronten.

Die Verteidigung setzt vor allem auf Zeitgewinn. Möglichst viele Anträge stellen, möglichst wenig zum Tathergang erzählen. Einer der Anwälte, Olaf Wernicke, spricht das offen aus: „Ist doch klar, dass man sich bei der schlechten Beweislage nicht zur Sache einlässt. Ein Freispruch aus Mangel an Beweisen ist auch ein Freispruch.“ Ein anderer Verteidiger gibt zu: „Je länger man das Verfahren rauszögert, desto besser. Denn desto schlechter können sich die Zeugen erinnern.“

Durch die unzähligen Anträge – darunter 25 Befangenheitsanträge – und die insgesamt 57 Zeugenvernehmungen schleppt sich das Verfahren dahin. Die Angeklagten werden mit jeder Finte lockerer. „Manchmal schien es mir wie ein Happening“, sagt Alexandra Kley. Auch Nebenkläger Blankenhorn spricht von der „Atmosphäre eines Klassentreffens“ und macht dafür Richter Dönitz mitverantwortlich: „Die Verhandlungen haben nie pünktlich angefangen.“ Eine Lappalie, könnte man meinen. Doch für Blankenhorn unverzeihlich: „Wie will ich Jugendliche überzeugen, dass es die Justiz ernst meint, wenn ich mich nicht einmal an die zeitlichen Vorgaben halte?“

Mit ihrer Antragsflut verärgert die Verteidigung auch die anfangs eher zurückhaltende Staatsanwaltschaft. Mal sind die Anträge eher kurios, etwa als die Anwälte klagen, ihre Schreibtische seien zu klein. Mal sind die Anträge nur noch grotesk. So verlangt der Anwalt von Daniel R. ein psychologisches Gutachten, weil sein Mandant wegen der Belastungen durch den Prozess nicht schlafen könne. Später stellt sich heraus, das derselbe Angeklagte im April einen weiteren Ausländer schwer verletzte. Gegen Ende des Prozesses verliert auch das Gericht die Geduld, die Anträge werden nun schneller abgeschmettert.

Als ein Angeklagter überraschend das Schweigen bricht und ein umfassendes Geständnis ablegt, ist es auch mit der Aussicht auf einen „Mangel an Beweisen“ vorbei. René K. wird fortan von seinen Kameraden geschnitten. Bis kurz vor Ende des Prozesses bleibt er der Einzige, der sich bei den Opfern entschuldigt und sein Verhalten bedauert. Die anderen schweigen, und ihre Anwälte übertreffen sich gegenseitig in Zynismus. So bezeichnet Rainer Nowsch den tödlichen Sprung durch die Glastür als „außergewöhnlich für hiesige Auffassungen über eine Flucht“. Helmut Dittberner spricht von „eigenverantwortlicher Selbstgefährdung“ des Opfers. Mehrere Anwälte versuchen gar, das Opfer zum Täter zu machen, sie verlangen die Untersuchung angeblicher Drogengeschäfte. Andere zweifeln die Identität des Opfers an, obwohl bekannt war, dass Farid Guendoul unter einem Alias-Namen gelebt hat, um sich vor Verfolgung aus Algerien zu schützen.

Manche Anwälte scheinen persönliche Ziele zu verfolgen. Wolfram Nahrath etwa, der einen der mutmaßlichen Rädelsführer vertritt, war der letzte Bundesführer der 1994 verbotenen Wiking-Jugend und soll im NPD-Parteischiedsgericht sitzen. Der Verdacht liegt nahe, dass Nahrath den Prozess auch als Plattform sieht, sein Image in der rechten Szene zu pflegen – egal, ob das dem Mandanten schadet oder nicht. Jedenfalls lässt er seinen Schützling – der wie einige andere auch stets mit kahl rasiertem Kopf und schwarzen Stiefeln erscheint – eine „persönliche Erklärung“ verlesen, in der er über die Tatnacht berichtet: „Irgendwann hieß es dann, den Neger suchen.“ Darüber, dass bei der Hetzjagd ein Mensch starb, habe er sich „keine Gedanken gemacht“. Prompt beantragt die Staatsanwaltschaft für ihn eine Strafe ohne Bewährung, obwohl er zur Tatzeit erst 17 war.

Aus der Sicht von Nebenkläger Blankenhorn ist die Strategie der Verteidigung „nach hinten losgegangen“. Wegen der öffentlichen Diskussion über rechte Gewalt ist der Druck auf Staatsanwaltschaft und Richter gestiegen, für härtere Urteile gegen rechte Täter zu sorgen. Die Staatsanwaltschaft beantragte für alle elf Angeklagten eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung und gefährlicher Körperverletzung. „Sie haben alle mitgemacht“, betonte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer, „und zwar aus freien Stücken.“

Die Strafen werden allerdings sehr unterschiedlich ausfallen, weil einige der Angeklagten auch wegen anderer Vergehen vor Gericht stehen. Und weil sie sich während des Prozesses sehr unterschiedlich verhielten. Während etwa der geständige René K. mit Milde rechnen darf, wird Marcel P. dies nicht erwarten können: Er wurde dabei erwischt, als er den Gedenkstein für Farid Guendoul geschändet hat.

Nicht alle Angeklagten scheinen große Angst vor dem Urteil zu haben. In einer der unzähligen Zigarettenpausen sagte einer von ihnen kürzlich: „Bis Mitte November sollten wir schon verurteilt sein, weil danach hab ich Urlaub.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen